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Der Träumer

Der Träumer

Titel: Der Träumer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Maschinen Zeit und Gelegenheit, dem Donner dieser Höllen zu entfliehen, um in den Sphären die Schalmei des Pan zu hören? Bin ich nicht mehr als andere Menschen, die mich ›Träumer‹ schelten und die vielleicht die Hälfte ihres irdischen Glücks gäben, wenn sie für eine Stunde in das Reich der Götter könnten?
    He, Träumer, welchen Unsinn schwatzest du?
    Einst stand ich vor der Wahl des Paris, und ich gab den Apfel nicht der Aphrodite, nicht der Hera und auch nicht der Pallas – ich aß ihn selbst mit himmlischem Vergnügen und sah die Grazien sich in Schmerzen winden. Hab' ich damit mein Glück als Mensch gegessen? Es war' phantastisch, als der einzige der Menschheit in mir selbst das Schicksal fortzutragen, ja, und vielleicht mein Schicksal schon verdaut zu haben. Oh, dieser Witz der träumenden Gedanken, dieses Lächeln meines Spiegelbildes – ob ich es frage, was es über mich denkt?
    »Wer bist du?« frage ich mein Bild in der Scheibe.
    Und sieh, es lächelt, und es gibt Antwort, ohne eine Lippe zu bewegen.
    »Ich bin, was du gern sein möchtest«, sagt es sanft.
    »Hah – und was bin ich?«
    »Du bist das, was du in dir tagtäglich treiben läßt.«
    »Also ein minderwert'ger Mensch!« schrei' ich und starre in den Spiegel.
    »Nein«, sagt mein Abbild. »Nein – denn nur, was steuerlos im Meere treibt, wird einst im Angesicht des Strandes auf die Klippe stürzen.«
    »So meinst du, könnte ich das werden, was ich sein kann?« frage ich, und mein begierig heißer Atem trübt die blanke Silberfläche.
    Mein Bildnis lächelt, und die Augen glänzen hinter Schleiern.
    »Du bist ein Mensch. Genügt es nicht, ein Mensch zu sein? Im Menschen spiegeln sich die Götter. Ist es da nötig, daß der Mensch sich in den Göttern spiegelt? Sei, was du bist, vollendet, so bist du groß als Mensch und wirst im Rahmen dieser Welt als Genius gelten, denn da der Mensch sich selten über seine Mittelmaße hebt, wird der vollendet sein, der ganz zum Menschen wurde.«
    Ich schaue vom Spiegel weg auf meine Berge. Schwer saugt die Nacht sich fest am Bergwald und verschluckt die Spitzen; es ist ein geiles Ineinandergleiten der Natur, ein brünstiges Sichvermählen aller Schatten. Dort oben möchte ich jetzt stehen, mitten unter diesen Wipfeln, die der Sturm zerfetzte und der Fröste Beischlaf spaltete. Dort oben unter den Lawinen möchte ich jetzt singen und in der Nacht die Flöte meiner Sehnsucht spielen. Es drängt mich in die Mächtigkeit der Welt hinaus, da ich erkenne, daß ich winzig bin, nicht nur als Substanz, sondern auch im Wesen.
    Inzwischen wartet stumm mein Spiegelbild und lächelt.
    »Was lächelst du?« frag' ich nach einer Weile der Besinnung. »Willst du mir sagen, daß die Sehnsucht wenig ist im Leben eines Menschen? Oh, sie ist viel!«
    »Vielleicht auch alles. Ein Mensch hört auf, sein Leben produktiv zu formen, wenn er nicht mehr der Sehnsucht halb sich unterordnet und nur halb die Wege des Realen sucht. Doch deine Sehnsucht ist nicht die zum Menschen, sie ist weit leuchtender – sie führt vom Menschen weg. Du willst als ganzer Mensch zu Füßen deiner Götter sitzen. Der Mensch im allgemeinen wünscht, einst selbst ein Gott zu sein. Darum wird am Ende seiner Tage der nur die Erfüllung sehen, der auch sein Leben als Vollkommenheit betrachten kann.«
    »Nein!« rufe ich und umklammere den Rahmen. »Es gibt noch eine Grenze, eine Lücke, eine Nichtbefriedigung im Menschen, auch wenn er sonst den Lebenskreis gerundet – das ist die Liebe! Denn vollkommen ist meist der Verstand – die drängenden Gefühle aber sind verwundbar, sind die Achillesferse unserer Welt. Sieh mich – ich liebe Paulchen –, aber lieb' ich sie?«
    »Du bist ein Kauz«, lacht schallend da mein Bild. »Du solltest Stolz und Liebe einmal trennen.«
    Sieh, ich erröte – daran hab' ich nicht gedacht … und wahrlich, sagte ich nicht eben, daß ich stolzer bin als ihr?
    Oh, diese dumpfe, ewige Borniertheit im Menschen, sich selbst als Krönung eines Ganzen anzusehen und jegliches Geschöpf an seinem Maß zu messen! Bin ich auch so? Bin ich wirklich nur zu stolz, daß ich wohl Paulchen liebe, aber diese Liebe als den Abbruch meiner Würde sehe? Oh, hartes Bild im Spiegel, welche Würde dichtest du mir an? Die Würde eines Träumers? Sie ist Seifenschaum! Die Würde eines Dichters? Sie ist ein bunter Luftballon! Die Würde eines Mannes? Sie gleicht oft nur der Krawattenseide!
    Nein, nein – ich liebe Paulchen, wirklich, aber
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