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Der träumende Diamant 1 - Feuermagie

Titel: Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
Autoren: Shana Abé
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Zukunft bringt, du wirst hier beim Stamm immer einen Platz haben.«
     
    Sie wusste, von wem sie geliebt werden wollte. Sie wusste, von wem sie gerettet werden wollte, wer ihren Namen aussprechen und mit ihr lachen und wer sie mit dem plötzlichen, atemberaubenden Zauber seines Lächelns vor der Welt dort draußen beschützen sollte.
    Christoff. Der goldene, wunderbare Christoff mit seinen ausdrucksvollen Händen und seinen verträumten, grünen Augen, die ihre Seele auszufüllen schienen, wann immer er sie durch Zufall erblickte. Was nicht sehr oft war, wie sie sich eingestehen musste. Es gab keinen Jungen in der Grafschaft, der einem Vergleich mit ihm hätte standhalten können. Das glaubte jedenfalls Clarissa. Und auch Melanie und Liza und der Rest taten das. Clarissa wusste, dass sie, obgleich sie erst zwölf war und nicht ausschließlich das Blut ihres Stammes in ihren Adern floss, eine einzigartige Begabung hatte: Verstohlenheit.
    Darin war sie richtig gut. Oder besser: Darin war sie richtig gut gewesen. Bis zu diesem Nachmittag.

    Sie lag wach in ihrem Bett, zählte die Sterne durch ihr Fenster und sah zu, wie Kepheus und Kassiopeia am Himmel prangten. Sie liebte die Nacht. Es war die Zeit zum Träumen und sich vorzustellen, was sein könnte. In dieser Nacht sang die Nachtigall aus ihrem Nest im Lorbeerbaum draußen im Garten, und es war eine schmerzhafte, sehnsüchtige Melodie, die sich überschlug und leichtfüßig trillerte wie Wasser im Flussbett. Der gemusterte Baumwollstoff ihrer Vorhänge rahmte die Baumwipfel ein, die das östliche Ende des Obstgartens bildeten. Ihr Großvater hatte das Landhaus neben dem ältesten und größten der römischen Apfelbäume erbaut. Jedes Jahr im Frühling roch die Luft wie im Paradies.
    Aber es war nun Sommer, nicht Frühjahr, und sie fühlte sich in ihrem Flanellnachthemd und der Mütze wie eingeengt. Sie strampelte die Bettdecke von sich, doch es wurde nicht besser. Noch immer funkelte Kepheus, und der kleine Vogel hörte nicht auf zu singen. Clarissa setzte sich auf und ging zum Fenster. Ein Windhauch strich wie eine kühle Verlockung über ihren Nacken.
    Als sie den Kopf wandte, konnte sie den Atem ihrer Mutter aus dem anderen Zimmer hören, langsam und gleichmäßig. Antonia schlief gewöhnlich tief, was an der Medizin oder ihrer Krankheit oder an beidem liegen mochte.
    Rasch zog Clarissa sich um, legte ihr dunkelstes Kleid an und riss sich die lästige Nachthaube vom Kopf. Das Fenster war bereits geöffnet. Mit der Geschicklichkeit langer Übung kletterte sie barfuß hinaus und landete sicher auf dem darunterliegenden Rasen.
    Die Nachtigall unterbrach kurz ihr Lied, und Clarissa bewegte sich nicht. Sie wartete und lauschte ebenso wie der Vogel. Doch nach einer Minute stimmte dieser sein Lied wieder an, und Clarissa stahl sich hinaus in die Nacht.

    Freiheit. Sie war wie berauscht und rannte geradewegs mitten durch den Obstgarten, vorbei an den Äpfeln und Kirschen und Birnen, die wie Tropfen des Mondlichts von den Bäumen hingen. Wenn sie schnell genug lief, war es beinahe, als könnte sie fliegen. Sie hüpfte einige Male versuchsweise und fragte sich, wie es sich anfühlen mochte, wenn ihre Füße den Erdboden verließen. Bei jedem Satz wippte ihr Zopf auf dem Rücken.
    Hier war niemand, der über sie urteilte, niemand, der sie verhöhnte, niemand, der sie jagte. Hier draußen in der Wildnis war sie einzigartig und ungewöhnlich und kräftiger als jedes andere Mitglied des Stammes. Sie war eine Prinzessin - eine Königin -, und alle anderen beneideten sie, weil sie die mächtigste von allen war. Und Christoff …
    Er liebte sie. Er betete sie an. Sie würden gemeinsam, nur sie beide, um die ganze Welt fliegen.
    Nach einiger Zeit verfiel sie in einen Trab, dann ging sie wieder. Das Gras unter ihren Füßen fühlte sich wie Samt an, die Erde weich wie Lehm. Der Wind wisperte in den uralten Bäumen. Clarissa entdeckte eine Birne und pflückte sie vom Ast. Sie presste ihre Nase an die Schale und sog die ganze wunderbare Wärme eines reifen Sommers in sich auf.
    Der Saft brannte auf ihrer Lippe, doch nicht einmal dies konnte diesen mondbeschienenen Augenblick weniger vollkommen machen. Sie aß die Birne und ertrug den Schmerz. Dann, als sie fertig war, warf sie das Gehäuse zwischen die herabgefallenen Blätter.
    Von der Kuppe des Blackstone Hill aus würde sie den Aufgang der Venus sehen können. Dort hatte sie ein geheimes Versteck, eine kleine Hirschsenke in
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