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Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition)
Autoren: Vanessa Farmer
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auch jemand, der nicht Sephrete heißt!
    Dies war ihr in den letzten Minuten deutlich geworden. Die Bilder einer fremden Erinnerung waren immer klarer geworden, so als wische man den Schmutz von einer nebeligen Fensterscheibe, so als wasche man einen Spiegel mit Seifenlauge. Zuerst hatte sie sich gegen die Bilder gewehrt.
    Diese Frau, die an ihrer Schulter weinte. Dieser Mann, den sie ... Daddy? nannte. Dann die Trauer, als Daddy nicht mehr bei ihr war. Dieser nette Junge ... Stan war sein Name, einer, in den sie sich verliebt hatte ... und ein Zimmer, dessen Wände mit Bildern von Jungen tapeziert waren, Jungen, die allesamt hübsch aussahen ...
    ... und so viele Bilder mehr. So unendlich viele Bilder mehr.
    Bilder einer anderen Realität. Der von Grace.
    Sie war Sephrete!
    (Und sie war Grace!)
    Sie war Spielball in einem Albtraum, den sie schon einmal geträumt hatte, vor wenigen Stunden erst. Sie hatte auf einem Stein gehockt. Die Sonne hatte heiß gebrannt. Mom war in einer Grabkammer gewesen.
    IN EINER GRABKAMMER!
    In dieser Grabkammer?
    Ich bin Sephrete und ich löse meine Schuld ein!
    Und ich bin Grace und ich war auf der Toilette auf einem Nilschiff. Und dann war da dieser Nebel, der meine Gedanken umfasste und mich hinweg trug und mich vor Glück weinen ließ. Ich landete hier auf diesem Stein. Auf diesem ...
    OPFERTISCH!
    Was macht man auf einem Opfertisch? Man opfert! Man tötet!
    MAMOTHMA WIRD MICH TÖTEN! ER WIRD MICH TÖTEN, WEIL ER DENKT, ICH SEI SEPHRETE! ER WIRD MICH TÖTEN, WEIL ER DURCH MICH DIE MACHT ÜBER DIE WELT ZU ERLANGEN GLAUBT!
    Grace bäumte sich auf.
    Sie starrte in die Goldmaske. Es schien, als beugten sich die Felswände zu ihr herab.
    Ich bin nicht Sephrete!
    ICH BIN GRACE WAYNE!
    Der klammernde Griff der Illusion in ihrem Kopf löste sich. Die jählings aufflammende Angst war schrecklich. Sie erkannte, was mit ihr geschehen würde. Der Schock war so groß, dass sie keinen Ton über die Lippen brachte.
     
     

21
     
     
    Die Fahrt hatte fast zwei Stunden gedauert. Zwei Stunden, die Linda vorkamen wie Tage, wie Wochen. Sie klammerte sich an Silim. Ihr Körper war eiskalt. Ihre Muskeln waren verkrampft. Sie hatte Rückenschmerzen und sie hasste dieses scheppernde schnaufende Moped. Zwischen ihren Zähnen knirschte Sand und ihre Augen brannten vor Staub und Müdigkeit. Endlich hielt Silim das Moped an. Er wies nach rechts. »Da ist es.« Unter Linda tuckerte der Motor. Hölzern glitt sie vom Sitz. Sie taumelte und fing sich wieder. Sie reckte sich. Das tat gut. Leben kehrte in ihren Leib zurück. Pulsierendes Blut, das sie wärmte.
    Silim hielt ihr fordernd seine Handfläche entgegen.
    Traurig nahm Linda Abschied von der Uhr. Bernard hatte sie ihr geschenkt. Sie hatte diese Uhr geliebt. Aber sie liebte Grace mehr als eine Uhr, viel mehr. Es galt, Prioritäten zu setzen.
    »Soll ich auf Sie warten?«
    »Nein. Es wird länger dauern.«
    Misstrauisch zogen sich Silims Brauen zusammen. »Es wird sehr kalt werden heute Nacht«, murmelte er.
    Er hatte recht! Sie war viel zu leicht bekleidet für diese Temperaturen. Sie machte sich jetzt keine Gedanken darüber, was danach sein würde. Falls es ein DANACH gab. Erst einmal galt es, Grace zu finden. Was dann geschah, würde man sehen. »Fahren Sie, Mr Silim! Ich danke Ihnen.«
    Der Araber winkte ab. Behände verschwand die Uhr in einer Tasche seines Kaftans. Er wendete sein Moped und fuhr davon.
    Das Tal der Könige. Eine Ebene. Unbedeutsam und enttäuschend, wenn man den Wert dieser Stätte an seiner Ausstrahlung und an seinem Mythos maß. Die Eingänge der Gräber waren schwarze Löcher im Sand. Eine steinige Hügelkette schützte das Tal. Linda hatte das Gefühl, vor einem belanglosen Amphitheater zu stehen. Alte Steine. Sand und Staub. Nichts, was das Auge erfreut hätte. Keine Säulen, keine Anlagen. Nichts Imposantes. Die wahren Werte befanden sich unter dem Sand.
    Vergeblich suchte Linda nach Absperrungen oder irgendeiner Art von Schutz. Lediglich um die Stätten der Geologen, derjenigen, die auch heutzutage noch mit Ausgrabungen beschäftigt waren, hatte man Zäune gespannt. Die Gräber waren allesamt schon vor langer Zeit geplündert worden. Die Steinrelikte waren interessant, aber viel zu schwer, als das man sie einfach wegtransportieren konnte. Vermutlich würden die Türen zu den Gräbern verschlossen sein. Auch die der Grabkammer, in der Linda heute Morgen gewesen war?
    Was, wenn sie sich getäuscht hatte? Wenn Grace sich hier gar
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