Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition)
Autoren: Vanessa Farmer
Vom Netzwerk:
Gebärde und die Kinder verschwanden in den Hütten. Er drehte wie ein hagerer Geier seinen Kopf zu Linda und musterte sie aus verkniffenen Augen. Sein faltiges Gesicht war regungslos. Der weiße fransige Bart wippte leicht.
    Der junge Mann schob sein Moped weg und lehnte es an eine Palme. Gackernde Hühner hopsten ihm über die Schuhe. Mit einer harschen Fußbewegung schob er das Federvieh weg.
    Einige Frauen verdeckten mit schwarzen Schleiern ihre Gesichter, sodass ausschließlich ihre Augen zu sehen waren. Sie drehten sich weg und folgten ihren Kindern.
    Ein Junge nahm das Dromedar an das Halfter und führte es weg. Das hochbeinige Tier trottete gemütlich hinter dem Jungen her.
    Es kehrte Stille ein. Das Lachen verstummte und Misstrauen schlug ihr entgegen. Verlegen lächelnd trat sie vor. Sie suchte jemanden, mit dem sie sich verständigen konnte. Irgendwo schnatterte jemand aufgeregt auf Arabisch.
    Nie zuvor war ihr diese Sprache so fremd erschienen. Nie zuvor hatte sie sich unter Menschen so einsam gefühlt. Verlegen näherte sie sich dem alten Mann, der regungslos wie eine Statue wirkte.
    Der junge Mann kam über den Platz zu ihr hin. Er sagte einige Sätze auf Französisch. Linda zuckte mit den Achseln. Er versuchte es mit der deutschen Sprache.
    »Ich bin Amerikanerin«, sagte Linda und stellte sich vor.
    »Ah – wunderbar. Mein Name ist Muchmat Silim.« Er war ähnlich schmal wie Akbar, hatte schwarze Haare und einen kurz gestutzten Vollbart. Er trug den landesüblichen grauen Kaftan. Seine nackten Füße steckten in einfachen Sandalen. Als er lächelte, entblößte er zwei Zahnlücken. »Eine Amerikanerin. Ich liebe die Amerikaner. Wir lieben Eure Fernsehserien.« Er deutete hinter sich. Erst jetzt bemerkte Linda die Satellitenschüsseln, die Weiß auf den Dächern der Lehmhäuser prangten. Also war die Neuzeit auch an diesen Menschen nicht spurlos vorbei gegangen. Der kulturelle Gegensatz war derart prägnant, dass Linda fast gelacht hätte.
    Der Alte machte kehrt. Er winkte den neugierigen Köpfen zu, die sich aus den Fenstern reckten. Stimmen brandeten auf. Kinderlachen. Musik. Es war, als habe jemand einen Knopf gedrückt. Das Leben ging weiter.
    Linda atmete erleichtert auf.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Das Englisch des Arabers klang hart, aber verständlich.
    Mit wenigen Worten erklärte Linda ihr Anliegen.
    »Das ist ein seltsamer Wunsch,« sagte Muchmat Silim. »Niemand fährt um diese Zeit in das Tal der Könige. Das machen die Touristenbusse am Tage.«
    »Sagen Sie mir nur, wo ich ein Taxi finden kann.«
    Silim lachte hart. »Um diese Zeit? Hier? Unmöglich. Jedes Auto ist in der Stadt. Dort finden Sie ein Taxi. Der Fußmarsch dahin beträgt mehr als eine Meile.« Er verschränkte seine Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. Für einen Augenblick brandete Wut in Linda hoch. Dieser Mann begutachtete sie, als sei sie ein zum Verkauf ausgestelltes Dromedar oder eine Milchziege oder ein Huhn. »Sie würden gut zahlen?«
    »Selbstverständlich«, nickte Linda. Mit siedendem Schrecken erinnerte sie sich, ihre Geldbörse an Bord der Karnak Dream gelassen zu haben. Mit zwei Handgriffen löste sie ihre Armbanduhr vom Handgelenk. »Diese Uhr ist mehr als eintausend Dollar wert.«
    In Silims Augen trat ein verräterischer Glanz. Linda fröstelte es. Dieser Mann redete ihre Sprache, war also nicht ungebildet, dennoch wirkte er auch verschlagen. War sie überempfindlich? War sie nicht gewappnet, Menschen einer fremden Kultur entgegenzutreten? Warum sollte sie mehr als einen Gedanken daran vergeuden? Sie musste zu Grace! Nur das zählte. Also ließ sie ihre Uhr in die Handfläche fallen. »Diese Uhr gebe ich demjenigen, der mich zum Tal bringt. Ich habe es eilig. Ich muss dort jemanden treffen, der sehr wichtig für mich ist.«
    Es dauerte fünf Minuten und sie saß hinter den Ägypter auf dem Moped. Der kalte Wind hüllte sie ein und Staub drang ihr in Mund und Nase.
    Wen kümmerte das?
    Sie war unterwegs zu ihrer Tochter.
     
     

20
     
     
    Mamothma tanzte.
    Er wirbelte herum und herum. Züngelnde kleine Flämmchen sprossen aus seinem Körper. Er war ein brennender Derwisch, die Arme hoch, der Kopf im Nacken. Die Maske reflektierte die roten Zungen und strahlte im Widerschein seiner Kraft.
    Er tanzte und lachte.
    Er schien glücklich. Er verharrte und schwebte dorthin, wo sie lag. Er breitete seine Hände aus und fuhr beschwörend über ihren schmalen jungen Leib.
    Ich bin Sephrete! Aber ich bin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher