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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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Haben Sie Geschwister?«
    Berit schüttelte den Kopf.
    »Eltern?«
    Neuerliches Kopfschütteln. »Justus«, sagte sie, »ich muß Justus erreichen.«
    »Wo ist er?«
    »Bei Danne.«
    »Ist das in der Nähe?«
    »Salabacksgatan.«
    Ich schaffe das nicht, dachte Beatrice, wußte jedoch im gleichen Moment, daß für sie das schlimmste vorbei war, denn sie hatte es gesagt. Nun würde sie alles tun, was in ihrer Macht stand, um die Qualen der Frau zu lindern, und versuchen, deren Fragen zu beantworten. Ein Gefühl von Andacht überkam sie, das sie aus ähnlichen Situationen bereits kannte. Beatrice war alles andere als religiös, aber sie konnte erahnen, was die Menschen in religiösen Botschaften und Ritualen suchten. Vieles in ihrer Arbeit als Polizistin berührte die großen Fragen, die Mythen und Träume. Ihr war aufgefallen, daß Polizisten oft die Rolle eines Beichtvaters spielen mußten, eines Menschen, mit dem man vertrauliche Gespräche führen konnte. Selbst die uniformierten Polizisten, die oberflächlich betrachtet die Behörden, die Staatsmacht und das schlechte Gewissen der Bürger repräsentierten, konnten dazu auserkoren werden. Das hatte sie in ihrer Zeit als Streifenpolizistin festgestellt. Oder war es etwa ihre Persönlichkeit, die zu dieser oftmals gefühlsseligen Nähe verleitete? Sie wußte es nicht, aber solche Momente bedeuteten ihr sehr viel. Niemals, hatte sie sich geschworen, würde sie zynisch werden. Die Wohnungstür wurde mit einem Ruck geöffnet.
    »Justus«, hauchte Berit.
     
    Aber es war ein Mann, der in die Küche stürzte. Er erblickte Beatrice und blieb abrupt stehen.
    »Bist du ne Pfarrerin oder so was?«
    »Nein«, sagte Beatrice und stand auf.
    Der Mann atmete schwer. Sein Blick war aggressiv.
    »Wer zum Teufel bist du dann?«
    »Ich bin Polizeibeamtin.«
    »Sie haben meinen Bruder umgebracht.«
    Er fuchtelte mit dem rechten Arm vor Beatrice herum.
    »Lennart«, flüsterte Berit.
    Er hielt in seiner wütenden Attacke inne und sah sie an, als hätte er erst jetzt ihre Gegenwart bemerkt. Er senkte die Arme und fiel in sich zusammen wie eine aufblasbare Puppe, in die jemand hineingestochen hat.
    »Berit«, erwiderte er und machte einen Schritt auf sie zu.
    »Du Schwein«, sagte sie und spuckte ihm ins Gesicht.
    Er nahm ihren Wutausbruch gelassen hin, wischte sich nur mit dem Ärmel übers Gesicht. Beatrice fiel auf, daß seine Jacke in der Achselhöhle aufgerissen war, blutrotes Futter leuchtete hervor.
    »Das war jetzt aber nicht nötig«, sagte er matt, und in seinem Gesicht konnte Beatrice nur Verwirrung und Trauer lesen.
    »Das ist deine Schuld«, sagte Berit, wobei sie die Zähne so aufeinanderpreßte, daß kaum zu begreifen war, wie sie überhaupt einen Laut von sich geben konnte. »Es ist deine verdammte Schuld, daß mein John tot ist!« Ihre Stimme stieg ins Falsett.
    »Du hast ihn immer in irgendeine Scheiße hineingeritten. Das warst immer du!«
    Lennart schüttelte den Kopf. Er hatte ein zerfurchtes Gesicht, das zu einem erstaunlich großen Teil von schwarzen Bartstoppeln bedeckt war. Beatrice wäre niemals auf die Idee gekommen, daß der Mann vor ihr und der kleine John Brüder sein könnten.
    »Ich schwöre dir«, sagte er, »ich habe nicht die geringste Ahnung.«
    Beatrice glaubte ihm spontan.
    »Wie haben Sie herausgefunden, daß Ihr Bruder tot ist?«
    »Von deinen geschwätzigen Freunden«, sagte er kurz angebunden. »Die ganze Stadt weiß es«, fuhr er zum Fenster gewandt fort. »Wenn man über den Polizeifunk herausposaunt, daß der kleine John tot ist, wissen alle davon.«
    Unfaßbar, dachte Beatrice, daß der Klarname eines Ermordeten über Funk genannt wird.
    »Mein Bruder, mein einziger kleiner Bruder«, schluchzte Lennart Jonsson, auf die Fensterbank gestützt und die Stirn gegen die Scheibe gepreßt.
    »Ich werde diese Schweine umbringen. Verlaßt euch drauf. Ich werde die Kerle finden, die das getan haben, und sie dann zu Tode quälen.«
    Beatrice fragte sich, welche Details zum Mord noch nach draußen gedrungen waren. Berit war wieder auf ihrem Stuhl zusammengesunken, saß vollkommen reglos da und hatte den Blick auf einen Ort gerichtet, den Beatrice nicht erreichen konnte.
    »Bleiben Sie bei Berit?« fragte sie. »Es sollte jetzt jemand bei ihr sein.«
    Ob der Schwager dafür die geeignetste Person war, ließ sich bezweifeln, aber Beatrice hielt es für das beste. Sie waren ein Bruder und eine Frau, die durch das gemeinsame Leben, die Erinnerungen, die Trauer
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