Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido
Autoren: Christian Foersch
Vom Netzwerk:
Einsatzwagen gesprungen und habe Schlag- und Tritttechniken asiatischer Kampfsportarten zur Anwendung gebracht. Zum Beweis wurden Fotografien von Verletzungen der Polizisten vorgelegt. Darauf sah man gerötete Hautstellen, Blutergüsse und Abschürfungen, in starker Vergrößerung.
    Die Polizisten redeten fast eine Stunde lang, wobei ihre Verteidiger ihnen mit wohlwollenden Fragen eine bequeme Spur legten, auf der sie lächelnd und selbstsicher dahinwandelten.
    Um Amanda herum kochte das Blut. Marcos Freunde, vor allem die Fangruppen der SPAL, zischten Flüche und Schmähungen. Susanna Clerici, Marcos Mutter, ertrug dagegen mit bewundernswerter Gelassenheit die Selbstzufriedenheit der Männer, die ihrer (und nicht nur ihrer) Meinung nach ihren Sohn getötet und im Laufe des Prozesses süffisante Anspielungen auf ihre unzulänglichen Erziehungsmaßnahmen von sich gegeben hatten. Seit vier Jahren erduldete sie den Zynismus, und jetzt wartete sie, manchmal nach der Hand ihres Mannes greifend, der schweigend und wie geistesabwesend neben ihr saß, scheinbar unbekümmert darauf, dass die drei Polizisten in die Falle gehen würden. Aber Amanda wusste, dass diese Falle nicht einrasten konnte. Sie überlegte, ob sie Susanna, die Frau, die sie wie eine Tochter behandelt hatte, die ihr sogar angeboten hatte, in Marcos leeres Zimmer zu ziehen, wenn sie es bei sich zu Hause nicht mehr aushielt, einweihen sollte. Aber sie hatte den Mut nicht.
    Nun war die Reihe an Carlo Palombo, dem Anwalt der Clericis, die Angeklagten zu befragen. Er begann mit Sandro Massari, dem mit 35 Jahren ältesten des Trios. Der Brigadiere war ein kräftiger Mann mit Bauchansatz, der wortwörtlich wiederholte, was er schon vorher gesagt hatte: Sie hätten einen beispielhaften Einsatz durchgeführt, exakt nach den Regeln desPolizeidienstes. Sie hätten dem armen Burschen helfen wollen und zum Dank Prügel bezogen.
    Carlo Palombo war ein Mann, den jahrzehntelanger Nikotingenuss geformt hatte. Seine Stimme war rau, seine Zähne waren gelb, seine Haut war wenig durchblutet, aber seine kleinen Augen blitzten. »Entschuldigen Sie mich, wenn ich Sie unterbreche«, sagte er zu dem Polizisten, »ich würde Ihnen gerne weiter zuhören, aber ich fürchte, der Richter verliert gleich die Geduld.«
    »Wenn ich die Geduld verliere, sage ich selbst Bescheid«, warf der Richter ein.
    »Sie haben uns ausführlich von den Verbalattacken Marco Clericis berichtet. Können Sie uns sagen, was seine letzten Worte waren? Laut gerichtsmedizinischem Gutachten verstarb Marco gegen 3.30 Uhr. Wann hat er das letzte Mal etwas gesagt, und was war das?«
    Der Polizist zuckte mit den Achseln. »Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.«
    »Würden Sie für uns die Uhrzeit schätzen?«
    »Kann ich nicht«, antwortete der Polizist.
    »Dann sagen Sie uns doch wenigstens, was Marco als Letztes von sich gegeben hat.«
    »Na, seine Beschimpfungen.«
    »Welcher Art?«
    »Ihr Drecksbullen, Faschistenschweine. Ich bringe euch um, solche Sachen halt.«
    »In welcher Lautstärke?«
    »Er brüllte wie ein Verrückter.«
    Der Verteidiger rückte seine Lesebrille zurecht, schaute den Angeklagten an und ließ dann seinen Blick durch den Saal kreisen. »Ich möchte kurz Ihre Angaben zusammenfassen. Marco Clerici schrie aus vollem Hals Beleidigungen in Ihre Richtung, und gleich darauf starb er.«
    »Ich habe nicht gesagt: gleich darauf.«
    »Wie auch immer: So lange er Energie hatte und sich äußern konnte, war sein einziger Antrieb Hass gegen die Polizei.«
    Der Polizist nickte. Der Verteidiger ließ den nächsten Angeklagten in den Zeugenstand rufen. Stefano Catozzo, 31 Jahre alt. Der Mann ähnelte seinem Kollegen in Statur und Gebaren. Der Anwalt stellte dieselben Fragen, es kamen dieselben Antworten. Marco Clericis letzte Wort waren: »Drecksbullen, Faschistenschweine.« Dann war der letzte der drei angeklagten Polizisten an der Reihe. Antonino Pulla, ein 26-jähriger Sizilianer, Vicebrigadiere, der erst kurz vor Marcos Tod nach Ferrara versetzt worden war. Er wirkte ein wenig unsicher, auch wegen seines süditalienischen Akzents. Wenn er versuchte, Hochitalienisch zu reden, knallten die Konsonanten noch lauter hervor.
    Der Anwalt stellte wieder dieselben Fragen. Publikum und Richter wurden unruhig. Die Polizisten konnten wieder und wieder darstellen, wie sie Opfer beleidigender Ausfälle von Seiten eines unter Alkohol-und Drogeneinfluss stehenden Jugendlichen wurden. Was bezweckte Palombo mit dieser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher