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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido
Autoren: Christian Foersch
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Idealbesetzung für die Rolle des Saubermanns.«
    »Dabei gehörten Sie selbst immer dem Organisierten Verbrechen an.«
    Lunau betrachtete den Mann in seinem leichten Sommeranzug, dessen helles Beige perfekt zu den Lederschuhen und dem weißen Hemd passte. Er hatte studiert, er hatte Manieren, er repräsentierte die Zukunft der Organisation.
    »Nicht wie Sie meinen. Ich hatte meine eigene kleine Gefolgschaft. Eigentlich wollte ich nur die Pizzeria meines Vaters schützen. Ich scharte einige Leute um mich und baute eine Schutzmannschaft auf. Bald baten mich auch andere Gastronomen um Schutz.«
    »Wurden Sie um Schutz gebeten, oder boten Sie ihnen Schutz an?«
    Tarantella sah Lunau irritiert an. »Was macht das für einen Unterschied?«
    »Einen gewaltigen, das wissen Sie.«
    »Jetzt nicht mehr.«
    Lunau wurde übel. Er sah den Lauf der Waffe an, deren Mündung ein kleines schwarzes Loch in dieserNacht bildete. Tarantella würde ihn nicht verfehlen, da war sich Lunau sicher. Es sei denn, eine Welle brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Oder ein überraschender Tritt. Es waren drei Meter, zwei Sprünge. Aber er schaffte es nicht, sich zu bewegen. Die Angst lähmte seine Muskeln.
    »Gestatten Sie mir eine Frage?«, sagte er.
    »Nur zu. Wir sind hier ungestört. Und wie gesagt: Ich bedaure, dass unser Kontakt so früh abreißt.«
    »Warum Sara?«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Sie haben ein Kind verloren. Sie hätten wissen müssen, was Sie damit anrichten.«
    »Die Geschichte bedaure ich. Niemand hat Michael aufgetragen, Sara zu entführen. Er ist ein Irrer. Er war panisch, er hatte Schulden. Er konnte den Standplatz für Joy nicht mehr bezahlen, und dann war Joy auch noch abgetaucht, wollte ihn anzeigen.«
    »Sie haben Michael gesagt, dass Joy bei mir war?«
    Er schüttelte den Kopf. »Zu Kleindealern pflege ich keinen Kontakt. Totò hat es ihm gesagt, oder einer der Brüder. Ich habe nur dafür gesorgt, dass man Amanda aus dem Spiel lässt. Das war ich meinem Freund Adelchi schuldig.«
    Lunau schüttelte den Kopf. »Also war Saras Entführung ein reines Zufallsprodukt?«
    So wie es Zufall gewesen war, dass die Kugeln damals Kurt getroffen hatten, nicht Lunau. Ein Gedanke, der ihn seit sieben Jahren verfolgte. Zufall, dass er Meserets zermatschtes Gesicht am Strand gesehen hatte,dass Amanda ausgerechnet ihn in Berlin angerufen hatte. Dass Joy in die Lagerhalle geflohen war, in der nun die Muscheln getürkt wurden.
    »Wie gesagt: Michael ist unberechenbar. Dieses Mädchen scheint ihn um den letzten Rest Verstand gebracht zu haben. Aber uns war es natürlich nicht unlieb, dass Sie erst einmal anderweitig beschäftigt waren.«
    Tarantella legte an. Lunau hatte versucht, sich langsam zu nähern, aber Tarantella war zurückgewichen, um den Sicherheitsabstand zu halten. Es war unmöglich, ihn zu überraschen. Tarantellas Arm beschrieb den Knick, den der schlecht verheilte Bruch hinterlassen hatte.
    »Wie ist es möglich, dass jemand von einer Organisation verstümmelt wird, dass er das einzige Kind drangeben muss und weiter zu dieser Organisation steht?«, fragte Lunau.
    »Ich bin kein Freund dieser Organisation, wie Sie sie nennen. Ich konnte nur wählen: mich unterordnen oder sterben. Ich habe mich für das Leben entschieden. Wie hätten Sie sich entschieden?«
    Lunau schwieg.
    »Sie hätten ein berühmter Musiker werden können. Der Weg war Ihnen vorgezeichnet. Warum haben Sie sich anders entschieden? Das würde mich ebenfalls interessieren.«
    Lunau dachte nach. Er dachte wieder an seine Kindheit zurück, an die Haltestelle, an der er auf den Schulbus warten musste, an die beiden Brüder, die ihn schlugen.Es war immer dasselbe Prozedere. Lunau kam, mit seinem Ranzen auf dem Rücken, mit den Partituren, mit seinen dünnen Beinen, dem Seitenscheitel und dem dunklen Blazer, und die beiden Brüder grinsten einander an. Sie stießen sich mit dem Rücken lässig von der Glasscheibe ab, warteten, bis Lunau auf Idealdistanz herangekommen war, und dann schlugen sie ihm abwechselnd mit der Faust in den Magen. So lange, bis sich Lunaus Solarplexus zusammenkrampfte, ihm die Luft wegblieb und er umfiel.
    Am Abend vor dem Einschlafen lag Lunau im Bett und quälte sich vor Angst. Immer wieder dachte er an den nächsten Morgen, an den stechenden Schmerz in seinem Magen, an den Schock, der ihm die Atemwege verschloss und ihn zu ersticken drohte. Die Angst vor dem nächsten Morgen wurde unerträglich. Lieber wollte er tot sein.
    Aber wenn ich
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