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Der Törichte Engel

Der Törichte Engel

Titel: Der Törichte Engel
Autoren: Christopher Moore
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wurde weihnachtlich, und so war ihr auch zumute – sie fühlte sich einsam …
    Für Mavis Sand, die Besitzerin des Head-of-the-Slug- Saloons , klang das Wort einsam wie das Glöckchen einer Registrierkasse. Zur Weihnachtszeit füllte sich Pine Cove mit Touristen auf der Suche nach kleinstädtischem Charme, und das Head of the Slug füllte sich mit einsamen, entrechteten Jammerlappen auf der Suche nach etwas Trost. Den servierte Mavis ihnen liebend gern in Form ihres ureigenen (und überteuerten) Weihnachtscocktails. Er nannte sich Schön Langsame Nummer auf dem Rücksitz vom Rentierschlitten und bestand aus – »Hey, verpiss dich, wenn du wissen willst, was drin ist«, sagte Mavis dann. »Ich hab schon hinterm Tresen gestanden, als dein Daddy den Präser weggespült hat, in dem deine einzige Hoffnung auf ein bisschen Hirn steckte, also werd mal ein bisschen weihnachtlich und bestell dir endlich den verdammten Drink.«
    Mavis war eigentlich immer in Weihnachtsstimmung, bis hin zu den Tannenbaum-Ohrringen, die sie das ganze Jahr trug, weil sie diesen »Neuwagenduft« mochte. Ein Bund Mistelzweige von der Größe eines Elchschädels hing über ihrem Tresen, und während der gesamten Feiertage mussten ahnungslose Trunkenbolde, die sich zu weit herüberlehnten, um ihre Bestellung in eine von Mavis’ Hörhilfen zu brüllen, feststellen, dass sie jenseits der klimpernden, schwarzen Nylonpeitschen ihrer falschen, mit Mascara verputzten Wimpern, jenseits des behaarten Leberflecks und der dick gespachtelten Schichten von blutrotem Lippenstift, jenseits des Marlboro-100-Atems und der klackernden Zahnprothesen, doch immer noch mit ihrer Zunge umzugehen wusste. Einer taumelte japsend zur Tür und behauptete, sie hätte an seinem Kleinhirn geleckt und Visionen heraufbeschworen, er müsse im dunklen Schrank des Todes ersticken – was Mavis als Kompliment nahm.
    Etwa zur selben Zeit, als Dale und Lena ihr Scharmützel drüben beim Thrifty Mart hatten, kauerte Mavis auf ihrem Hocker hinterm Tresen, sah von ihrem Kreuzworträtsel auf und erblickte den schönsten Mann, der je die Schwingtüren des Slug aufgestoßen hatte. Was einst Wüste gewesen war, erblühte nun im tiefen Tal, wo jahrelang ein staubiges Flussbett gewesen war, floss nun ein mächtiger Strom. Ihr Herz tat einen Sprung, und der Defibrillator, den man ihr in die Brust gepflanzt hatte, versetzte ihr einen kleinen Schock, so dass sie elektrisiert von ihrem Hocker rutschte, um ihm zu Diensten zu sein. Sollte er einen Wallbanger bestellen, würde sie so heftig kommen, dass sie sich bestimmt die Tennisschuhe ruinierte, weil sich ihre Zehennägel in den Boden gruben – sie wusste es, sie spürte es, sie brauchte es. Mavis war eine Romantikerin.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie und klimperte mit den Wimpern, was aussah, als krümmten sich spastische Wolfsspinnen hinter ihren Brillengläsern.
    Ein paar Stammgäste hockten am Tresen und sahen sich auf ihren Hockern nach dem Grund für Mavis’ Unterwürfigkeit um. Das konnte unmöglich ihre Stimme sein. Normalerweise klang sie nur verächtlich und verräuchert.
    »Ich bin auf der Suche nach einem Kind«, sagte der Fremde. Er hatte langes, blondes Haar, das über seinen schwarzen Trenchcoat fiel. Seine Augen waren veilchenblau, die Züge gleichermaßen zart und markig, fein geschnitten und ohne eine Falte des Alters oder der Erfahrung.
    Mavis drehte an dem kleinen Knopf an ihrem rechten Hörgerät herum und neigte den Kopf wie ein Hund, der eben in ein Plastikkotelett gebissen hat. Oh, wie schnell brechen doch die Säulen der Lust unter der Last der Dummheit in sich zusammen. »Sie sind auf der Suche nach einem Kind? « , fragte Mavis.
    »Ja«, sagte der Fremde.
    »In einer Bar? An einem Montagnachmittag? Sie suchen ein Kind?«
    »Ja.«
    »Ein bestimmtes Kind oder einfach irgendein Kind?«
    »Das weiß ich, wenn ich es sehe«, erwiderte der Fremde.
    »Du kranker Pisser«, sagte einer der Stammgäste, und ausnahmsweise nickte Mavis einmal zustimmend. Ihre Halswirbel klickten wie ein Steckschlüssel.
    »Verschwinde aus meiner Bar«, sagte sie. Ein langer, lackierter Fingernagel deutete zur Tür. »Mach schon, verzieh dich. Was glaubst du, wo wir hier sind? In Bangkok?«
    Der Fremde betrachtete ihren Finger. »Christi Geburt naht. Stimmt’s?«
    »Ja. Samstag ist Heiligabend.« Mavis knurrte. »Was zum Teufel soll mir das sagen?«
    »Dann brauche ich vor Samstag noch ein Kind«, erklärte der Fremde.
    Mavis langte unter
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