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Der Törichte Engel

Der Törichte Engel

Titel: Der Törichte Engel
Autoren: Christopher Moore
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damit er reihenweise Ferienwohnungen auf den Hügeln von Pine Cove errichten konnte. Zwar besagte das Gesetz, dass die Ersatzbäume innerhalb der Stadtgrenzen von Pine Cove gepflanzt werden mussten, allerdings stand da nicht, dass sie irgendwo in der Gegend stehen mussten, wo sie geschlagen worden waren, und so pflanzte Dale sämtliche Bäume um den Friedhof der alten Kapelle von Santa Rosa herum. Dieses Land, zehn Morgen, hatte er schon vor Jahren erworben, in der Hoffnung, es unterteilen und dort Luxushäuser bauen zu können, aber irgendwelche Hippie-Spinner von der California Historical Society waren dazwischengegangen und hatten die alte Kapelle zum historischen Wahrzeichen erklärt, so dass er das Land nicht mehr bebauen durfte. Also pflanzten seine Arbeiter Monterey-Kiefern – ohne Rücksicht auf den natürlichen Wuchs eines Waldes – in geraden Reihen, bis die Bäume dicht an dicht um die Kapelle standen, wie Federn am Rücken eines Vogels.
    In den letzten vier Jahren war – immer in der Woche vor Weihnachten – jemand auf Dales Grundstück gewesen und hatte ganze Lastwagenladungen von Weihnachtsbäumen ausgegraben. Er hatte genug davon, den Behörden Rede und Antwort stehen und die Bäume ersetzen zu müssen. Dabei interessierten ihn die Bäume einen Dreck, aber er wollte verdammt sein, wenn er sich damit abfand, dass ihm irgendwer ständig die Wachhunde der Behörden auf den Hals hetzte. Er war seiner Pflicht den Karibu-Kumpels gegenüber nachgekommen und hatte ihnen und ihren Frauen lustige Geschenke gemacht, aber jetzt wollte er einen Dieb stellen. Er selbst wünschte sich in diesem Jahr zu Weihnachten etwas mehr Gerechtigkeit. Mehr wollte er gar nicht, nur etwas Gerechtigkeit.
    Er bog von der Cypress ab, fuhr zur Kapelle hinauf und tätschelte den stupsnasigen 38er Revolver, den er in seinen breiten, schwarzen Gürtel geschoben hatte.
    Lena hievte den zweiten Weihnachtsbaum auf die Ladefläche ihres kleinen Toyota-Pick-ups und legte ihn in eine der Holzkisten, die sie zu diesem Zweck zusammengezimmert hatte. Die Unterprivilegierten bekamen dieses Jahr nur eins zwanzig hohe Bäume, höchstens eins fünfzig. Seit Oktober hatte es nur einmal geregnet, so dass sie fast anderthalb Stunden brauchte, um die beiden Setzlinge aus der trockenen, harten Erde zu graben. Sie wollte, dass die Menschen echte Weihnachtsbäume bekamen, aber wenn sie ihr Glück mit den Zwei-Meter-Dingern versuchte, wäre sie die ganze Nacht da draußen und hätte am Ende nur ein paar Bäume. Das ist richtige Arbeit, dachte Lena. Tagsüber kümmerte sie sich um die Ferienhausvermietungen eines örtlichen Grundstücksmaklers, wo sie während der Hochsaison manchmal zehn bis zwölf Stunden täglich arbeitete, aber ihr wurde bewusst, dass abgesessene Stunden und echte Arbeit nicht das Gleiche waren. Das dachte sie jedes Jahr, wenn sie hierher kam und ihren roten Spaten zur Hand nahm.
    Schweiß lief über ihr Gesicht. Mit dem Rücken ihres gamsledernen Handschuhs wischte sie sich das Haar aus den Augen, was einen schmutzigen Streifen an der Stirn zurückließ. Sie zog das Flanellhemd aus, das sie wegen der kühlen Nachtluft übergezogen hatte, und arbeitete in engem, schwarzem Tanktop und olivfarbener Cargo-Hose. Mit ihrem roten Spaten in der Hand sah sie dort am Waldrand aus wie eine Art Weihnachtsüberfallkommando.
    Sie stieß den Spaten in die Kiefernnadeln, etwa einen Schritt neben dem nächsten Baum, auf den sie es abgesehen hatte, und sprang auf die Schaufel, hüpfte auf und ab, bis sie bis zum Stiel eingegraben war. Sie zerrte am Griff herum, versuchte, den Waldboden aufzugraben, als zwei helle Scheinwerfer über den Waldrand strichen. Sie blieben stehen und beleuchteten Lenas Wagen in Stereo.
    Kein Grund zur Sorge, dachte sie. Ich werde mich nicht verstecken, ich werde nicht weglaufen. Sie tat nichts Unrechtes. Nicht wirklich. Ja, sicher, technisch gesehen war es Diebstahl, und sie brach ein paar Verordnungen hinsichtlich des Abholzens von Monterey-Kiefern, aber sie holzte sie ja gar nicht wirklich ab, oder? Sie pflanzte sie nur um. Und … und sie spendete den Armen. Sie war wie Robin Hood. Und niemand legte sich mit Robin Hood an. Nichtsdestotrotz lächelte sie ins Scheinwerferlicht und zuckte – wie sie hoffte – niedlich mit den Schultern, als wollte sie sagen: »Oha, da haben Sie mich wohl erwischt.« Sie schützte ihre Augen mit einer Hand und ver suchte, ins Licht zu blinzeln, um zu sehen, wer den Pick-up fuhr. Ja, sie war
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