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Der Törichte Engel

Der Törichte Engel

Titel: Der Törichte Engel
Autoren: Christopher Moore
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Weihnachtskommerz zu erleben. Pine Cove – dieses verschlafene Nest an der kalifornischen Küste, im Grunde ein Spielzeugdorf mit mehr Galerien als Tankstellen, mehr Vinotheken als Eisenwarenläden – lag verführerisch da wie die trunkene Königin eines Schülerballs, während über allem bedrohlich das Fest der Freude aufragte. In fünf Tagen sollte es so weit sein. Weihnachten stand vor der Tür, und in diesem Jahr sollte mit dem Fest auch das Kind kommen. Beides war unvermeidlich – und voller Wunder. Pine Cove rechnete nur mit einem von beiden.
    Was nicht heißen soll, dass unter den Einwohnern keine Weihnachtsstimmung herrschte. Die Wochen vor und nach dem Fest spülten eine willkommene Woge Bares in die Geldsäckel des Ortes, der seit dem Sommer nach Touristen lechzte. Die Kellnerinnen staubten ihre Weihnachtsmützen und Rentiergeweihe ab und sorgten dafür, dass vier funktionierende Kugelschreiber in ihren Schürzen steckten. Hotelangestellte machten sich für den Wahnsinn der Last-Minute-Überbuchungen bereit, während Haushälterinnen die üblichen, ekelhaften Babypuder-Lufterfrischer gegen festlichere, nicht minder ekelhafte Tannenzapfen-Zimt-Duftnoten tauschten. Unten in der Pine Cove Boutique hängten sie ein Schild mit der Aufschrift »Weihnachtsangebot« an den hässlichen Rentier-Pulli und erhöhten den Preis wie jedes Jahr – zum zehnten Mal in Folge. Die Logenbrüder, Freimaurer und Weltkriegsveteranen – im Grunde die immer gleichen, alten Schnapsdrosseln – waren schwer mit der Planung ihrer jährlichen Weihnachtsparade auf der Cypress Street beschäftigt, deren Thema in diesem Jahr »Patriotismus in allradgetriebenen Zeiten« lauten sollte (hauptsächlich weil es das Thema ihrer Parade am 4. Juli gewesen war und alle die entsprechenden Dekorationen noch hatten). Viele Pine Cover hatten sich sogar freiwillig für den Dienst an den Sammelbüchsen der Heilsarmee vor dem Postamt und dem Thrifty-Mart gemeldet, Zwei-Stunden-Schichten, sechzehn Stunden pro Tag. In ihrer roten Verkleidung standen sie da, mit angeklebten Bärten, und läuteten ihre Glocken, als hätten sie es auf den Hundesabber bei der Pawlow’schen Olympiade abgesehen.
    »Her mit der Kohle, du geiziger Sack!«, sagte Lena Marquez, die an diesem Montag, fünf Tage vor Weihnachten, die Sammelbüchse hielt. Über den ganzen Parkplatz rannte Lena Dale Pearson hinterher, Pine Coves bösem Immobilienmakler, und bimmelte ihm dabei glatt den Schmalz aus den Ohren, während er unbeirrt seinen Truck ansteuerte. Auf dem Weg in den Thrifty-Mart hatte er ihr zugenickt und gesagt: »Auf dem Rückweg …«, aber als er acht Minuten später wieder herauskam, mit einer Riesentüte Lebensmittel und einem Eisbeutel in Händen, marschierte er an ihrer Sammelbüchse vorbei, als koche sie Talg aus den Ärschen von Bauinspektoren und er müsse vor dem Gestank fliehen.
    »Es ist ja wohl nicht so, als könntest du dir nicht eine kleine Spende für die Unterprivilegierten leisten.«
    Sie läutete ihre Glocke extra laut, direkt an seinem Ohr, und er fuhr herum, holte auf Hüfthöhe mit dem Eisbeutel aus.
    Lena wich zurück. Sie war achtunddreißig, schlank, dunkelhäutig, mit dem zarten Hals und dem scharf geschnittenen Kinn einer Flamencotänzerin. Ihr langes, schwarzes Haar war links und rechts ihrer roten Zipfelmütze zu zwei Prinzessin-Leia-Schnecken geflochten. »Du wirst doch wohl nicht den Weihnachtsmann schlagen wollen! Das ist aus so vielen Gründen schäbig, dass ich gar nicht die Zeit habe, sie alle auszuzählen.«
    »Du meinst, sie aufzuzählen « , sagte Dale, wobei das warme Wintersonnenlicht auf den neuen Kronen seiner Vorderzähne schimmerte. Er war zweiundfünfzig, so gut wie kahl und hatte die kräftigen Schultern eines Zimmermanns, noch immer breit und kantig, trotz des Bierbauchs, der darunter hing.
    »Ich meine, das ist schäbig – du bist schäbig – und geizig bist du auch«, und dann hielt sie ihm wieder die Glocke ans Ohr und schüttelte sie wie ein rot berockter Terrier, der einer kreischenden Messingratte das Leben aus dem Leib bimmelt.
    Dale krümmte sich, holte mit dem Fünf-Kilo-Eisbeutel weit aus und traf Lena am Solarplexus, was sie rückwärts über den Parkplatz taumeln und nach Luft ringen ließ. Das war der Moment, in dem die Ladys im BULGES die Bullen riefen … oder besser: den Bullen.
     
    Das BULGES war ein Fitnesscenter für Frauen direkt über dem Parkplatz vom Thrifty-Mart, und von ihren Tretmühlen und
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