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Der Tod wartet

Der Tod wartet

Titel: Der Tod wartet
Autoren: Agatha Christie
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die heftige innere Erregung verriet:
    «Du siehst also ein, warum es einer von uns beiden sein muss? Lennox scheidet aus, weil er auf Nadine Rücksicht nehmen muss. Und Jinny können wir nicht hineinziehen.»
    Carol erschauerte.
    «Arme Jinny… Ich habe solche Angst, dass sie…»
    «Ich weiß. Es wird immer schlimmer, stimmt’s? Und darum muss schleunigst etwas geschehen – bevor sie völlig durchdreht.»
    Carol richtete sich plötzlich auf und strich sich das kastanienbraune Haar aus der Stirn.
    «Ray», sagte sie, «du bist dir doch ganz sicher, dass es nicht wirklich unrecht ist?»
    Wiederum mit gewollt leidenschaftsloser Stimme erwiderte er: «Ja. Für mich ist das so, wie wenn man einen tollwütigen Hund tötet – etwas, das nur Schaden anrichtet und dem Einhalt geboten werden muss. Es ist die einzige Möglichkeit, der Sache ein Ende zu machen.»
    Carol sagte leise: «Aber wir – wir würden trotzdem dafür auf den elektrischen Stuhl kommen… Ich meine, wie sollen wir irgendjemandem klarmachen, was sie für ein Mensch ist? Es würde einfach zu abwegig klingen… Irgendwie ist das alles doch nur Einbildung! »
    Raymond sagte: «Niemand wird uns verdächtigen. Ich habe einen Plan. Ich habe alles genau durchdacht. Keiner wird uns etwas anhaben können.»
    Carol drehte sich abrupt zu ihm um.
    «Ray, du – du hast dich irgendwie verändert. Irgendetwas ist mit dir passiert… Wer oder was hat dir das alles in den Kopf gesetzt?»
    «Wie kommst du darauf, dass ich mich verändert habe?»
    Er wandte den Kopf ab und starrte hinaus in die Nacht.
    «Weil es so ist… War es die junge Frau im Zug, Ray?»
    «Nein, natürlich nicht – wieso auch? Red nicht solchen Unsinn, Carol. Sprechen wir lieber wieder über – über – »
    «Über deinen Plan? Bist du sicher, dass der Plan – gut ist?»
    «Ja. Ich glaube schon… Natürlich müssen wir die passende Gelegenheit abwarten. Und dann, wenn alles gut geht, werden wir frei sein – wir alle.»
    «Frei?» Carol seufzte leise. Sie sah hinauf zu den Sternen. Dann wurde sie plötzlich von einem Weinkrampf geschüttelt.
    «Carol, was hast du?»
    Schluchzend stieß sie hervor: «Alles ist so wunderschön – die Nacht und der Himmel und die Sterne. Wenn wir doch nur ein Teil davon sein könnten! Wenn wir doch nur wie andere Menschen sein könnten und nicht so, wie wir sind – so sonderbar und verdreht und irgendwie nicht normal. »
    «Alles wird gut werden – wenn sie erst tot ist!»
    «Bist du ganz sicher? Ist es dafür nicht schon zu spät? Werden wir nicht immer sonderbar und anders sein?»
    «Nein, ganz bestimmt nicht!»
    «Wer weiß…»
    «Carol, wenn du lieber – »
    Sie stieß seinen tröstenden Arm weg.
    «Nein, ich bin dabei – ich stehe auf deiner Seite! Schon allein wegen der anderen – vor allem wegen Jinny. Wir müssen Jinny retten!»
    Nach einer Weile sagte Raymond: «Dann – ziehen wir die Sache also durch?»
    «Ja!»
    «Gut. Mein Plan sieht folgendermaßen aus…»
    Er beugte sich dicht zu ihr.

Zweites Kapitel
     
    M iss Sarah King, Doktor der Medizin, stand im Lesezimmer des Hotels Solomon in Jerusalem und blätterte in den auf einem Tisch ausliegenden Zeitungen und Zeitschriften. Ihre Stirn war gerunzelt, und sie schien in Gedanken woanders zu sein.
    Der hoch gewachsene Franzose mittleren Alters, der den Raum von der Halle her betrat, beobachtete sie eine Weile, bevor er zum anderen Ende des Tisches schlenderte. Als sich ihre Blicke trafen, neigte Sarah lächelnd den Kopf, da sie ihn wieder erkannte. Der Mann war ihr bei der Abreise aus Kairo behilflich gewesen und hatte einen ihrer Koffer getragen, als kein Gepäckträger verfügbar zu sein schien.
    «Nun, wie gefällt Ihnen Jerusalem?», fragte Dr. Gérard, nachdem sie sich begrüßt hatten.
    «In mancher Beziehung ist die Stadt grässlich», sagte Sarah und fügte hinzu: «Religion ist schon etwas Merkwürdiges!»
    Der Franzose schien amüsiert zu sein.
    «Ich weiß, was Sie meinen.» Sein Englisch war nahezu perfekt. «Alle erdenklichen Sekten, die miteinander streiten und sich gegenseitig bekriegen!»
    «Und dazu die scheußlichen Sachen, die sie hier gebaut haben!», sagte Sarah.
    «O ja!»
    Sarah seufzte.
    «Man hat mich heute aus einer Kirche gewiesen, weil ich ein ärmelloses Kleid anhatte», sagte sie kleinlaut. «Anscheinend gefallen dem Allmächtigen meine Arme nicht, obwohl er sie doch selbst geschaffen hat.»
    Dr. Gérard lachte. Dann sagte er: «Ich wollte mir gerade einen Kaffee
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