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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester
Autoren: Diane Chamberlain
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Worley erst vor Kurzem freigemacht hatte.
    In Vorbereitung eines Fototermins für ein Porträt in meinem nächsten Buch hatte ich mein Haar einige Tage zuvor auf Kinnlänge stutzen lassen. Meine Friseurin hatte den kastanienbraunen Ton, den ich seit zehn Jahren trug, mit einigen hellen Strähnen aufgelockert, und Shannon machte immer eine Bemerkung dazu, wenn sie mich sah. Sogar meine Mutter hatte die Veränderung bemerkt und gesagt, dass Schnitt und Farbe “frech” aussähen. Ich ahnte, dass sie das als Kompliment meinte.
    Shannon beugte sich vor, um mich genauer zu mustern, wobei ihr Haar wie ein dicker schwarzer Vorhang ihr Gesicht umrahmte. “Ich glaube, du brauchst jetzt eine neue Brille”, sagte sie.
    Ich berührte kurz das randlose Glas. “Wirklich?”, fragte ich. Ich hielt meine Brille für modern, doch hinkte ich dem Trend drei oder vier Jahre hinterher.
    “Du solltest dir eines dieser coolen Plastikgestelle besorgen”, schlug sie vor. “Vielleicht in einem Bronzeton.”
    “Ich glaube nicht, dass ich bereit bin für so viel Coolness.” Ich staunte selbst über meine Fähigkeit, ein so banales Gespräch zu führen, während ich noch immer aufgewühlt war von Abbys Besuch.
    Shannon nahm einen langen Schluck von ihrer Coke. “Ehrlich gesagt, Mom”, begann sie, “bin ich nach Hause gekommen, weil ich mit dir über etwas reden muss.” Sie blickte mich an. “Ich fürchte allerdings, dass du sauer sein wirst.”
    “Schieß los”, erwiderte ich, damit sie mit der Sache rausrückte, bevor meine allzu lebhafte Fantasie schreckliche Szenarien entwarf.
    Sie biss sich auf die untere Lippe. Ihre Grübchen kamen zum Vorschein, wenn sie das tat. “Ich habe mich entschieden, den Sommer über bei Dad zu wohnen.” Shannon blickte mich an und wartete auf meine Reaktion. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und sah starr auf die Hundehütte im Vorgarten unseres Nachbarn.
    Das ist keine große Sache
, redete ich mir ein. Glen wohnte nur ein paar Kilometer entfernt, und vermutlich war es für beide gut, ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen, bevor sie aufs College ging. Warum also stiegen mir zum zweiten Mal am heutigen Tag die Tränen in die Augen?
Dies ist der letzte Sommer, den ich mit dir habe
, wollte ich sagen, doch ich behielt die Fassung.
    “Warum, Liebling?”, fragte ich.
    “Ich … ich weiß nicht. Ich bin seit der Scheidung bei dir, und ich weiß, dass Dad es gerne sähe, wenn … du weißt … wenn ich den Sommer bei ihm bliebe. Ich versuche, zu allen fair zu sein”, fügte sie hinzu, auch wenn ich das sofort durchschaute. Shannon war ein gutes Kind, doch so edel war sie nicht, dass sie ihre Bedürfnisse den Wünschen anderer unterordnete.
    “Was ist der wahre Grund?”, hakte ich nach. “Hat er versucht, dich zum Umzug zu überreden?”
    “Nein.” Sie schüttelte müde den Kopf. “Nichts davon.”
    “Er arbeitet viel.”
    Sie lachte unwillkürlich auf, bevor sie es unterdrücken konnte. “Jetzt hast du’s”, sagte sie. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht, wobei mein Blick auf ihr italienisches Bettelarmband mit den vielen Anhängern fiel. Sie alle hatten Bezug zur Musik.
    “Habe ich was?”, fragte ich.
    “Mom, ich werde in drei Monaten
achtzehn”
, erwiderte sie in einem Ton, der um Verständnis warb. “Du behandelst mich noch immer wie zehn. Ich muss dich von jedem meiner Schritte unterrichten. Dad dagegen behandelt mich wie eine Erwachsene.”
    Das war es also. “Na ja”, meinte ich. “Da du nun kurz vorm College stehst, können wir die Regeln vielleicht ein bisschen ändern.”
    “Du müsstest deine Regeln komplett umwerfen, damit sie erträglich wären”, erklärte sie. “Du lässt mir keinen Raum zu
atmen
.”
    “Ach, Shannon, komm”, lenkte ich ein. Das Argument war nicht neu. Sie behauptete, ich würde sie ersticken und ihr keine Freiheit gönnen. Ich
war
überfürsorglich – so viel musste ich zugeben –, doch ich führte mich nicht wie ihre Gefängniswärterin auf. “Du hast seit Monaten noch nicht einmal
gefragt
, ob du etwas unternehmen darfst, wie kannst du da sagen, dass ich dir keinen Raum zum Atmen lasse?”
    Sie verdrehte die Augen. “Es hat keinen Sinn, dich zu fragen, ob ich etwas unternehmen kann, weil du sowieso Nein sagst”, gab sie zurück.
    “Shannon
. Das ist nicht wahr, und das weißt du auch.”
    “Wenn du auf Lesereise gehst, bringst du mich noch immer bei Erikas Familie unter, obwohl wir seit mindestens fünf Jahren
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