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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester
Autoren: Diane Chamberlain
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ich. Das war nicht besonders genug, um mich in eine katholische Kirche zu bringen. Im Laufe meines Erwachsenenlebens hatte ich so ziemlich jede Religion ausprobiert, und man konnte mich heute wohl am ehesten als buddhistische Quäkerin beschreiben. Ich strebte nach Frieden, innerem und äußerem. Ich sah zu, wie meine Mutter das Taschentuch sorgfältig zusammenfaltete und wieder in die Tasche zurücksteckte. Sie war so süß. Und sie ging so auf in ihrer Arbeit. Wie konnte ich ihr da widerstehen?
    “Ich werde mitgehen”, willigte ich ein.
    “Oh, das ist wunderbar, Lucy!”, freute sie sich.
    Trotz meiner Lebensentscheidungen verstand ich mich gut mit meiner Mutter. Ich war niemals verheiratet gewesen, sondern hatte mit drei verschiedenen Männern zusammengelebt, jeweils acht Jahre lang. Acht Jahre schien aus irgendeinem Grund das Limit zu sein.
    Julies Verhältnis zu meiner Mutter war dagegen immer etwas angespannt gewesen, obwohl meine Schwester versuchte, alles richtig zu machen. Sie war in der katholischen Kirche geblieben, hatte geheiratet und ein wunderschönes Enkelkind zur Welt gebracht, dazu kam ihre erfolgreiche Karriere. Sie war vorsichtig und zuverlässig, die praktisch denkende Tochter, die Mom zu ihren Arztterminen begleitete und ihr bei all dem Papierkram half. Dennoch gab es eine nicht zu leugnende Unbehaglichkeit zwischen meiner Mutter und Julie, die vermutlich nie verschwinden würde. Julie glaubte, dass Mom sie noch immer für Isabels Tod verantwortlich machte. Ich glaubte nicht eine Minute daran, doch man konnte es nicht mit letzter Sicherheit wissen, weil meine Mutter nicht der Typ war, der über seine Gefühle sprach. Das Thema Isabel war sowieso tabu. Sogar
mir
wäre es unangenehm gewesen, es in ihrer Anwesenheit anzusprechen. Unter Verschluss gehaltene Gefühle konnten jedoch viel zerstörerischer sein als jene Emotionen, die man offenbarte. Das wusste ich, und zudem war ich eine unerschrockene Frau. Dennoch hätte ich nie die richtigen Worte gefunden, um mit meiner Mutter über Isabel zu sprechen.
    “Hör mal”, sagte meine Mutter. “Ich denke, wir sollten eine große Party geben, bevor Shannon aufs College geht. An ihrem Geburtstag am zehnten September wird sie fort sein, insofern könnte es eine Kombination aus Geburtstags- und Abschiedsparty sein.”
    “Das ist erst in ein paar Monaten, Mom”, wendete ich ein.
    “Aber du weißt doch, wie die Zeit vergeht. Wenn wir nicht jetzt mit der Planung anfangen, wird vielleicht nie was draus.”
    “In Ordnung.” Manchmal war es besser, den Ideen meiner Mutter zu folgen, als sie aufzuhalten. “An was denkst du?”
    “Wir könnten hier feiern.”
    “Bei McDonald’s?” Ich versuchte, nicht allzu entgeistert zu klingen. “Shannon ist fast achtzehn. Ich glaube nicht, dass sie sich ihre Party hier wünscht.”
    “Okay, okay.” Meine Mutter wedelte meine Antwort fort, als hätte sie sie kommen sehen. “Wie wäre es dann mit zu Hause?” Sie meinte ihr Haus, das Haus, in dem Julie und ich aufgewachsen waren.
    “Gute Idee”, pflichtete ich ihr bei.
    Sie erzählte von ihren Plänen für die Party – wen wir einladen sollten, ein Motto für die Dekoration, was es zu essen geben sollte –, und ich dachte wieder zurück an den Aal.
    “Erinnerst du dich noch, als Julie den riesigen Aal fing?”, fragte ich plötzlich.
    Meine Mutter wirkte verwirrt, weil meine Frage so völlig aus dem Nichts kam. “Wovon sprichst du?”, fragte sie. “Welcher Aal? Wann?”
    Ich begriff, dass ich einen Fehler gemacht hatte, das Thema anzuschneiden, denn ich war sicher, dass die Geschichte mit dem Aal 1962 gewesen war.
    “Als … Als wir Kinder waren”, antwortete ich ausweichend. “Sie fing ihn im Kanal. Als du ihn in die Pfanne legtest, zuckte er noch.”
    “Oh, das tun sie immer”, behauptete meine Mutter.
    “Wieso?”, fragte ich.
    “Hat irgendwas mit einem autonomen Nervensystem zu tun”, erwiderte sie. “Aber sie waren so tot, wie man nur tot sein kann. Was um Himmels willen hat dich daran denken lassen?”
    Ich zuckte die Achseln. “Ich weiß nicht”, log ich. “Es kam mir einfach so in den Sinn.”
    Meine Mutter blickte träumerisch ins Leere. “Was ich genau jetzt für einen Aal geben würde!”
    Ich lehnte mich zurück, nippte an meinem Tee und war unverhältnismäßig zufrieden mit dem Gespräch: Ich hatte etwas von dem Bungalow zur Sprache gebracht – und überlebt.

4. KAPITEL
    J ulie
    1962
    Bis zum Tod meiner Schwester in dem
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