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Der Tod kommt wie gerufen

Der Tod kommt wie gerufen

Titel: Der Tod kommt wie gerufen
Autoren: Kathy Reichs
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nach jüngst zurückliegenden Ereignissen brachte nichts. Und die Lücke im Gedächtnis reichte noch viel länger zurück.
    Ich erinnerte mich an ein Picknick mit meiner Tochter Katy. Aber das war im Sommer. Der Eiseskälte nach musste es jetzt Winter sein.
    Traurigkeit. Ein letzter Abschied von Andrew Ryan. Das war im Oktober. Hatte ich ihn danach wiedergesehen?
    Ein leuchtend roter Pullover zu Weihnachten. Dieses Weihnachten? Ich hatte keine Ahnung. Desorientiert suchte ich nach irgendeinem Detail aus den letzten paar Tagen. Doch alles blieb verschwommen.
    Vage Eindrücke ohne rationale Form oder Abfolge tauchten kurz auf und verschwanden wieder. Ein Gestalt, die aus dem Schatten trat. Mann oder Frau? Wut. Schreien? Weswegen? Gegen wen gerichtet?
    Schmelzender Schnee. Licht, das in Glas funkelt. Der dunkle Rachen eines Türspalts.
    Erweiterte Gefäße pochten in meinem Schädel. Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte meinem umnebelten Verstand keine Erinnerungen entlocken.

    Hatte man mich mit Drogen vollgepumpt? Hatte ich einen Schlag auf den Kopf abbekommen?
    Wie schlimm war mein Bein dran? Falls ich es schaffte, mich zu befreien, konnte ich dann gehen? Kriechen?
    Meine Hände waren taub, mein Finger unbrauchbar. Ich versuchte, die Handgelenke nach außen zu drücken. Spürte kein Nachgeben der Fessel.
    Tränen der Frustration brannten mir hinter den Lidern.
    Nicht weinen!
    Ich biss die Zähne zusammen, drehte mich auf den Rücken und riss meine Füße auseinander. Flammen schossen mir in den linken Unterschenkel.
    Dann wusste ich nichts mehr.
    Ich wachte wieder auf. Augenblicke später? Stunden? Ich hatte keine Ahnung. Mein Mund fühlte sich trockener an, die Lippen noch ausgedörrter. Der Schmerz im Bein war dumpfer geworden.
    Obwohl ich meinen Pupillen Zeit ließ, registrierten sie nichts. Wie sollten sie sich auch anpassen können? Die dichte Schwärze bot nicht den winzigsten Schimmer von Licht.
    Die alten Fragen kehrten wieder. Wo? Warum? Wer?
    Offensichtlich war ich verschleppt worden. Um zum Opfer irgendeines kranken Spiels zu werden? Um als Bedrohung aus dem Weg geschafft zu werden?
    Der Gedanke löste meine erste klare Erinnerung aus. Eine Leiche, verkohlt und verdreht, der Mund in einem letzten Schrei aufgerissen.
    Dann eine kaleidoskopische Sequenz, Bilder, die einander jagten. Zwei Autopsiesäle. Namensschilder, die zwei Labore kennzeichneten. Temperance Brennan, Forensische Anthropologin. Temperance Brennan, Anthropologue Judiciaire.
    War ich in Charlotte? Montreal? Viel zu kalt für North Carolina. Sogar im Winter. War es Winter? War ich in Quebec?
    War ich zu Hause verschleppt worden? Auf der Straße? Vor dem Édifice Wilfrid-Derome? Im Institut?
    War ich nur durch Zufall zum Opfer geworden? Oder weil ich war, was ich war? Suchte da jemand Rache für einen früheren Beschuldigten?
Ein Verwandter mit Verschwörungsfantasien? An was für einem Fall hatte ich zuletzt gearbeitet?
    Mein Gott, konnte es wirklich so kalt sein? So dunkel? So still?
    Warum dieser Geruch, der mir so verstörend vertraut vorkam?
    Wie zuvor schon, versuchte ich, meine Hände zu bewegen. Meine Füße. Vergeblich. Ich war verschnürt, konnte mich nicht einmal aufsetzen.
    »Hilfe! Ich bin hier! Ist da jemand? Helft mir!«
    Immer und immer wieder rief ich das, bis ich heiser wurde.
    »Irgendjemand. Bitte!«
    Mein Flehen blieb unbeantwortet.
    Panik drohte mich zu überwältigen.
    Du wirst nicht hilflos sterben.
    Vor Angst und Kälte zitternd und weil ich verzweifelt etwas sehen wollte, drehte ich mich auf den Rücken, drückte die Hüfte nach oben und streckte die Arme so weit aus, wie es ging, ohne auf den Schmerz in meinem Bein zu achten. Ein Stoß. Der zweite. Der dritte. Mein Fingerspitzen spürten einen knappen halben Meter über meinem Gesicht Härte.
    Ich bäumte mich noch einmal auf. Bekam Kontakt. Sediment rieselte mir in die Augen und den Mund.
    Spuckend und blinzelnd drehte ich mich auf die rechte Seite und schob mich mit einem Arm und beiden Füßen nach vorne. Der raue Boden schürfte mir die Haut an Ellbogen und Fersen ab. Ein Knöchel kreischte protestierend. Es war mir egal. Ich musste mich bewegen. Musste hier rauskommen.
    Schon nach einer kurzen Strecke stieß ich gegen eine Wand. Rechteckiger Umriss. Mörtel und Ziegel.
    Mit hämmerndem Herzen drehte ich mich auf die andere Seite und schob mich in der Gegenrichtung vorwärts. Wieder stieß ich sehr schnell gegen eine Wand.
    Adrenalin flutete meinen Körper,
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