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Der Tod kommt wie gerufen

Der Tod kommt wie gerufen

Titel: Der Tod kommt wie gerufen
Autoren: Kathy Reichs
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als Entsetzen sich auf Entsetzen legte. Meine Eingeweide zogen sich zusammen. Meine Lunge sog keuchend die Luft ein.
    Mein Gefängnis war keinen halben Meter hoch und keine zwei
Meter breit! Die Länge scherte mich nicht. Die Wände schienen schon näher zu rücken.
    Ich verlor die Kontrolle.
    Ich rutschte ein Stückchen vorwärts und fing an zu schreien und mit den Fäusten gegen die Wand zu hämmern. Immer und immer wieder schrie ich, versuchte die Aufmerksamkeit eines Passanten zu erregen. Eines Arbeiters. Eines Hundes. Egal.
    Als meine Knöchel wund waren, drehte ich mich um und bearbeitete die Wand mit den Füßen.
    Schmerz schoss mir in den Knöchel. Zu viel Schmerz. Aus meinen Hilferufen wurde Stöhnen.
    Niedergeschlagen kippte ich nach hinten. Ich keuchte, und auf meinem eisigen Fleisch kühlte der Schweiß.
    Eine Parade von Gesichtern marschierte mir durchs Hirn. Katy. Ryan. Meine Schwester Harry. Mein Kater Birdie. Mein Exgatte Pete.
    Würde ich sie je wiedersehen?
    Heftiges, keuchendes Schluchzen drang aus meiner Brust.
    Vielleicht verlor ich das Bewusstsein. Vielleicht nicht. Meine nächste Wahrnehmung war ein Geräusch.
    Ein Geräusch außerhalb meines Körpers. Nicht von mir verursacht.
    Ich erstarrte.
    Tick. Tick. Tick. Tick. Tick.
    Im Hirn öffnete sich ein Spalt.
    Die Erinnerung glitt durch.
    2
    Noch ein Blick auf die Armbanduhr. Noch ein Seufzen. Noch mehr Füßescharren.
    Über uns tickte stetig eine Wanduhr, ein krasser Gegensatz zu Ryans Ruhelosigkeit. Es war eine altmodische Analoge, rund und mit einem Sekundenzeiger, der mit scharfen, kleinen Klick-klicks vorwärts rückte.

    Ich betrachtete meine Umgebung. Dieselbe Plastikpflanze. Derselbe schlechte Druck einer winterlichen Straßenszene. Dieselben halb leeren Becher mit schalem Kaffee. LCD-Projektor. Leinwand. Laserpointer. Nichts Neues hatte sich herbeigezaubert, seit ich mich zum letzten Mal umgeschaut hatte.
    Zurück zur Uhr. Ein Logo nannte die Firma Enterprise als Hersteller. Vielleicht war das aber auch der Name für dieses spezielle Modell.
    Gab man Zeitmessern eigentlich Namen? Arnie Analog? Reggie Regulator?
    Okay. Ich war genauso nervös wie Ryan. Und sehr, sehr gelangweilt.
    Wieder dieses Fingertrommeln auf der Tischplatte. Seit einer halben Stunde tat Ryan das in regelmäßigen Abständen. Das Stakkato ging mir allmählich auf die Nerven.
    »Er kommt zu uns, sobald er kann«, sagte ich.
    »Dass wir hierher kommen sollen, war seine Idee.«
    »Ja.«
    »Wie kann man in einer Leichenhalle eigentlich eine Leiche verlieren?«
    »Du hast Corcoran doch gehört. Sie haben über zweihundert Leichen. Die Einrichtung hier arbeitet jenseits ihrer Kapazität.«
    Man hat mich zwar auch schon ungeduldig genannt, aber Lieutenant-détective Andrew Ryan, Section de crimes contre la personne, Sûreté du Québec, hob die Bedeutung dieses Worts auf eine ganz neue Ebene. Ich wusste, wie er reagierte. Bald würde er auf und ab marschieren.
    Ryan und ich saßen in einem Besprechungszimmer im Büro des Cook County Medical Examiners in der West Side von Chicago. Wir waren auf Bitten von Christopher Corcoran, einem Pathologen am CCME, von Montreal hierher geflogen.
    Vor mehr als drei Jahren war eine neunundfünfzigjährige Frau namens Rose Jurmain von Chicago nach Quebec geflogen, um dort das herbstliche Laub zu genießen. Am vierten Tag ihres Besuchs
hatte sie ihren Landgasthof für einen Spaziergang verlassen und war nie zurückgekehrt. Ihre persönliche Habe blieb in ihrem Zimmer. Niemand sah oder hörte je wieder etwas von ihr.
    Dreißig Monate später wurden in einem Waldgebiet etwa eine halbe Meile nördlich des Gasthofs menschliche Überreste gefunden. Die Verwesung war weit fortgeschritten, es gab ausgedehnte Schädigungen durch Tierfraß. Ich hatte die Identifikation übernommen. Ryan hatte die Ermittlungen geleitet. Jetzt brachten er und ich Rose nach Hause.
    Warum dieser persönliche Service? Für mich war es die Freundschaft mit Corcoran und eine Ausrede, um meine alte Heimatstadt wieder einmal besuchen zu können. Für Ryan? Ein kostenloser Ausflug in die Windy City.
    Für Corcoran und seinen Chef? Das würde eine meiner ersten Fragen sein. Natürlich hätte ein Angestellter des CCME nach Montreal kommen können, um die Überreste abzuholen. Oder ein Transportdienst. Bis jetzt hatte die Familie noch kein Interesse an dem gezeigt, was von Rose übrig geblieben war.
    Und warum diese Bitte um unsere Anwesenheit in Chicago neun Monate nach
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