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Der Tod kommt wie gerufen

Der Tod kommt wie gerufen

Titel: Der Tod kommt wie gerufen
Autoren: Kathy Reichs
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Abschluss des Falls? Das Bureau du coroner hatte Roses Tod zum Unfall erklärt. Warum jetzt dieses besondere Interesse?
    Trotz meiner Neugier hatte es noch keine Zeit für Fragen gegeben. Als Ryan und ich ankamen, fanden wir die Straße voller Übertragungswagen und das Institut unter Belagerung.
    Corcoran hatte uns nur schnell in dieses Besprechungszimmer geführt und dabei eine äußerst knappe Erklärung geliefert. Am Tag zuvor hatte ein Bestattungsinstitut versucht, eine Leiche zur Verbrennung abzuholen. Unerklärlicherweise war diese Leiche nirgendwo zu finden gewesen.
    Das ganze Institut war mit Krisenmanagement beschäftigt. Der Chef redete sich vor der Presse den Mund fusselig. Eine hektische Suche war im Gange. Ryan und ich standen uns die Beine in den Bauch.

    »Schätze, die Familie ist stinksauer«, sagte Ryan.
    »O ja. Und die Presse liebt es. Verlorene Leichen. Schockierte Hinterbliebene. Peinlich berührte Politiker. Aus dem Stoff werden Pulitzer-Preisträger gemacht.«
    Ich bin ein Nachrichten-Junky. Zu Hause lese oder zumindest überfliege ich die Tageszeitung von hinten bis vorne. Auf Reisen schalte ich CNN oder einen Lokalsender ein. Kurz zuvor in meinem Hotelzimmer hatte ich zwischen WFLD und WGN hin- und hergezappt. Ich wusste also von der Geschichte, hatte allerdings das daraus resultierende Chaos nicht erwartet. Oder die Wirkung auf uns.
    Tatsächlich stand Ryan nun auf und marschierte hin und her. Ich schaute auf meinen Kumpel Enterprise. Detective Dauerstress hielt sich genau an seinen Zeitplan.
    Nach dreißig Metern Fußmarsch setzte Ryan sich wieder.
    » Wer war Cook?«
    Ich hatte keine Ahnung, was er meinte.
    »Cook County?«
    »Weiß nicht«, sagte ich.
    »Wie groß ist es?«
    »Das County?«
    »Nein, das Hinterteil meiner Tante Dora.«
    »Du hast eine Tante Dora?«
    »Drei.«
    Ich merkte mir dieses familiäre Detail, um später darauf zurückkommen zu können.
    »Cook ist das zweitbevölkerungsreichste County in den Vereinigten Staaten und die neunzehntgrößte Regionalverwaltung der Nation.« Ich hatte das irgendwo gelesen.
    »Was ist das größte?«
    »Sehe ich aus wie ein Almanach?«
    »Atlas.«
    »Einige Almanache enthalten statistische Daten.« Abwehr. Nach dem Flug wollte ich keine Wortgefechte mehr.

    Ryan ist normalerweise ein fröhlicher Mensch, aber Reisen verdirbt ihm die Laune, und das sogar, wenn die Luftfahrtgötter lächeln. Gestern waren sie verdammt mürrisch gewesen.
    Unser Flug von Pierre Elliot Trudeau International nach O’Hare hatte anstatt zwei sechs Stunden gedauert. Zuerst gab es eine Verzögerung wegen schlechten Wetters. Dann ein mechanisches Problem. Dann wurde die Crew verhaftet, weil sie nackt auf der Rollbahn getanzt hatte. Oder etwas in der Richtung. Verärgert und frustriert wie Ryan daraufhin war, hatte er sich die Zeit damit vertrieben, an allem, was ich sagte, herumzumäkeln. Was er sich eben unter einem amüsanten Geplänkel vorstellte.
    Einige Augenblicke vergingen.
    Tick. Tick. Tick. Tick. Tick.
    Ryan sprang eben wieder auf, als die Tür aufging und Christopher Corcoran in Labormantel, Jeans und Turnschuhen eintrat. Mit seiner blassen Haut und den grünen Augen, den roten Haaren und den Sommersprossen war Corcoran die Verkörperung des irischen Klischees. Und entschieden nervös.
    »Tut mir wirklich leid wegen der Verzögerung. Aber diese Sache mit der verschwundenen Leiche entwickelt sich zu einer italienischen Oper.«
    »Ich hasse es, wenn Leichen Beine kriegen.« Der alte Ryan-Humor.
    Corcoran lächelte freudlos. »Vor allem, wenn man verantwortlich ist für den Verstorbenen.«
    »Das war dein Fall?«, fragte ich.
    Corcoran nickte. Als ich ihn anschaute, gingen mir unzählige Erinnerungen durch den Kopf. Ein schmächtiger Junge, steckendürre Glieder und wilde, karottenfarbene Haare. Gusseiserne Tische, die in langen Reihen an den Boden geschraubt waren. Endlose Messen auf harten Kirchenbänken.
    Als Kinder waren Corcoran und ich direkte Nachbarn in einem Viertel in der South Side mit dem Namen Beverly und eingetragene Mitglieder der St. Margaret’s Church of Scotland
gewesen. Man darf nicht vergessen, dass die Katholiken Chicagos die Bevölkerung nach Pfarrgemeinden unterteilen, nicht nach der Geografie. Merkwürdig, aber so ist es eben.
    Als ich acht war, starben mein Vater und mein Bruder, und meine Familie siedelte um nach North Carolina. Corcoran blieb in Chicago. Wir verloren uns natürlich aus den Augen. Ich wuchs heran, besuchte die
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