Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
anfing. "Rudolf, ich habe mit dir zu reden.“ "Ja, Vater..“ Er wurde von einem entsetzlichen Husten geschüttelt. Dann sah er aufs Fenster hin, und ich hatte den Eindruck, er wollte aufstehen, um die Flügel zuzuschlagen. Aber er besann sich anders und fuhr fort: "Rudolf, ich habe mit dir über deine Zukunft zu reden.“ "Ja, Vater.“ Eine ganze Weile saß er schweigend da und sah zum Fenster hin. Seine Hände waren blau vor Kälte, aber er gestattete sich keine Bewegung. "Vorher wollen wir beten.“ Er stand auf, und ich stand auch auf. Er trat vor das Kruzifix, das hinter dem kleinen niedrigen Stuhl an der Wand hing, und kniete auf

    dem Fußboden nieder. Ich kniete ebenfalls nieder, nicht neben, sondern hinter ihm. Er machte das Zeichen des Kreuzes und begann, langsam, deutlich und ohne eine Silbe auszulassen, ein Vaterunser zu sprechen. Seine Sprechweise war nicht mehr abgerissen, wenn er betete. Ich hielt meine Augen fest auf die große, steife Gestalt gerichtet, die vor mir kniete, und wie immer hatte ich das Empfinden, daß mein Gebet sich viel mehr an sie als an Gott wandte. Vater sagte mit fester Stimme "amen"und stand auf. Ich stand gleichfalls auf. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. "Setz dich."
    Ich nahm wieder auf meinem kleinen Stuhl Platz. In meinen Schläfen hämmerte es. Er sah mich eine ganze Weile an, und ich hatte den außergewöhnlichen Eindruck, daß es ihm an Mut gebrach, zu sprechen. Während dieses Zögerns hörte der Regen plötzlich auf. Sein Gesicht erhellte sich, und ich wußte, was geschehen würde. Vater stand auf und schloß das Fenster: Gott selbst hatte der Strafe ein Ende gesetzt. Vater setzte sich wieder, und mir schien es, als hätte er neuen Mut geschöpft. "Rudolf", sagte er, "du bist dreizehn Jahre und du bist in dem Alter es zu verstehen. Gott sei Dank bist du verständig und dank mir oder vielmehr", fuhr er fort, "dank der Erleuchtung, die Gott mir betreffs deiner Erziehung hat zuteil werden lassen, bist du in der Schule ein guter Schüler. Denn ich habe dich gelehrt, Rudolf, ich habe dich gelehrt deine Pflicht zu tun- so wie du die Fenster putzt -gründlich!"
    Er schwieg eine Sekunde und fuhr mit lauter Stimme, fast schreiend, fort: "Gründlich!"
    Ich begriff, daß ich etwas sagen mußte, und antwortete mit schwacher Stimme: "Ja, Vater."
    Seitdem das Fenster geschlossen war, kam es mir vor, als wäre es im Zimmer noch kälter. "Ich werde also dir sagen, was ich betreffs deiner Zukunft beschlossen habe. Aber ich will", fuhr er fort, "daß du- die Gründe meines Entschlusses erfährst und verstehst."
    Er hielt inne, preßte seine Hände gegeneinander, und seine Lippen fingen an zu beben. "Rudolf, einst habe ich einen Fehltritt begangen."
    Ich sah ihn verblüfft an. "Und damit du meinen Entschluß verstehst, muß ich dir meinen Fehltritt mitteilen. Einen Fehltritt –Rudolf, eine Sünde so groß, so entsetzlich, daß ich nicht hoffen darf daß Gott mir verzeiht wenigstens nicht im Leben. .."
    .

    Er schloß die Augen, seine Lippen zuckten krampfhaft, und so verzweifelt aus, daß es mich im Halse würgte und ich einige Minuten lang aufhörte zu zittern. Vater löste mit Anstrengung seine Hände und legte sie auf die Knie. "Du kannst dir wohl denken, wie peinlich es mir ist, dich so zu erniedrigen, zu demütigen. Aber auf meine Leistung kommt es nicht an. Ich bin nichts."
    Er schloß die Augen und wiederholte: "Ich bin nichts."
    Das war seine Lieblingsredensart, und jedesmal, wenn er sie brauchte, fühlte ich mich schrecklich unsicher und schuldig, um meinetwillen das sozusagen göttliche Geschöpf, das mein war, "ein Nichts"
    wäre. Er schlug die Augen auf und blickte ins Leere. "Rudolf, einige Zeit genauer einige Wochen vor deiner Geburt habe ich mich meiner Geschäfte wegen. ..", er sprach mit "nach Frankreich begeben müssen, nach Paris. .."
    Er hielt inne, schloß die Augen, und jedes Zeichen des Nichts schwand aus seinem Gesicht. "Paris, Rudolf, ist die Hauptstadt aller Laster!"
    Mit einem Ruck richtete er sich in seinem Sessel auf und mich mit haßerfüllten Augen an. "Verstehst du das?"
    Ich hatte es nicht verstanden, aber sein Blick schreckte mich ich sagte mit erloschener Stimme: "Ja, Vater."
    "Gott", fuhr er mit leiser Stimme fort, "suchte in seinem Zorn meinen Körper und meine Seele heim."
    Er blickte ins Leere. "Ich wurde krank", sagte er in einem Ton unglaublichen "ich pflegte mich und genas, aber die Seele genas nicht."
    Er fing plötzlich an zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher