Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
schreien: "Sie sollte nicht genesen!"
    Es entstand ein langes Schweigen, dann schien er wieder zu bemerken, daß ich da war. "Du zitterst?"
    fragte er mechanisch. "Nein, Vater."
    Er fuhr fort: "Ich kehrte zurück nach Deutschland. Ich gestand meinen Fehltritt deiner Mutter und entschloß mich von nun an zu meinen eigenen Fehlern, die Fehler meiner Kinder, und meiner Frau auf mich zu nehmen und Gott um Verzeihung zu bitten - für ihre wie für meine."
    Nach einer Weile fing er wieder an zu sprechen, und es war, als ob er betete. Seine Stimme war nicht mehr abgerissen. "Schließlich versprach ich der Heiligen Jungfrau feierlich, daß, wenn das Kind, das wir erwarteten, ein Sohn wäre, ich ihn ihrem Dienst widmen würde."
    Er blickte mir in die Augen.

    "Die Heilige Jungfrau wollte, daß es ein Sohn war."
    Ich hatte eine Anwandlung unerhörter Kühnheit: Ich erhob mich. "Setz dich!"
    sagte er, ohne die Stimme zu heben. "Vater. .."
    "Setz dich!"
    Ich setzte mich wieder . "Wenn ich fertig bin, kannst du sprechen."
    Ich sagte: "Ja, Vater", aber ich wußte schon, daß, wenn er fertig war, ich nicht mehr sprechen könnte. "Rudolf", fuhr er fort, "seitdem du in dem Alter bist, Fehltritte begehen zu können, habe ich sie einen nach dem andern auf meine Schultern genommen. Ich habe für dich, Gott um Verzeihung gebeten, als ob ich es wäre, der schuldig war und ich werde weiter so handeln, solange du minderjährig bist."
    Er fing an zu husten. "Aber du Rudolf mußt deinerseits, wenn du zum Priester geweiht bist, hoffentlich lebe ich so lange, meine Sünden auf deine Schultern nehmen. .."
    Ich machte eine Bewegung, und er schrie mich an: "Unterbrich mich nicht!"
    Er fing wieder an zu husten, aber diesmal auf eine herzzerreißende Weise, wobei er sich über den Tisch krümmte, und plötzlich dachte ich, daß, wenn er sterben würde, ich nicht Priester zu werden brauchte. "Wenn ich sterbe", fuhr er fort, als ob er meine Gedanken erraten hätte, und eine Flut von Scham überfiel mich, "wenn ich sterbe, bevor du ordiniert bist, habe ich meine Anordnungen getroffen mit deinem künftigen Vormund, damit sich nach meinem Tod nichts ändert. Und selbst nach meinem Tode, Rudolf, selbst nach meinem Tode, wird es deine Pflicht als Priester sein, vor Gott für mich einzutreten."
    Er schien auf eine Antwort von mir zu warten. Ich kam nicht dazu zu antworten. "Vielleicht, Rudolf", begann er wieder, "hast du manchmal den Gedanken, daß ich zu dir strenger war, als zu deinen Schwester oder zu deiner Mutter, aber begreife, Rudolf, begreife, du hast nicht das Recht, verstehst du? Du hast nicht das Recht Fehltritte zu begehen. Als ob es", fuhr er leidenschaftlich fort "nicht genug wäre, an meinen eigenen Sünden müssen an diesem Hause, alle, alle"
    (er fing plötzlich wieder an zu schluchzen) "jeden Tag, diese Last, diese furchtbare Last, vermehren.“ Er stand auf, begann im Zimmer hin und her zu laufen, und Stimme zitterte vor Wut. "Jawohl, das tut ihr mir an. Ihr drückt mich tiefer in Schuld. Alle. Ihr drückt mich tiefer hinab. Jeden Tag drückt ihr mich hinab!"

    Er kam auf mich zu, ganz außer sich. Ich sah ihn bestürzt an, er hatte mich bis dahin noch nie geschlagen. Einen Schritt vor mir blieb er unvermittelt stehen, er holt Atem, ging um meinen Stuhl herum und warf sich vor dem Kruzifix nieder. Ich stand mechanisch auf. "Bleib, wo du bist", sagte er über die Schulter weg, "das geht dich nichts an."
    Er begann wieder ein Vaterunser in der langsamen, fließenden Redeweise, die ihm eigen war, wenn er betete. Er betete eine ganze Weile, setzte sich dann wieder an seinen Schreibtisch und sah mich so lange an, daß ich von neuem zu zittern anfing. "Hast du etwas zu sagen?"
    "Nein, Vater."
    "Ich glaubte, du hättest etwas zu sagen."
    "Nein, Vater."
    "Es ist gut, du kannst gehen."
    Ich stand auf und nahm Haltung an. Er winkte ab. Ich machte kehrt, ging hinaus und schloß die Tür. Ich ging in mein Zimmer, öffnete das Fenster und schloß die Läden. Ich zündete die Lampe an, setzte mich an meinen Tisch und begann eine arithmetische Aufgabe zu lösen. Aber ich kam nicht weiter. Die Kehle war mir wie zugeschnürt, und mir wurde ganz übel. Ich stand auf, holte meine Schuhe unter dem Bett hervor und machte mich daran, sie zu reinigen. Sie hatten seit meiner Heimkehr aus der Schule Zeit gehabt zu trocknen, und nachdem ich etwas Creme aufgetragen hatte, begann ich, sie mit einem Lappen zu polieren. Nach kurzer Zeit fingen sie an zu glänzen. Aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher