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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf
Autoren: Robert Merle
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Offizier hatte die leuchtenden Augen und das hagere Gesicht von Vater; ich stand still und sagte ehrerbietig: "Jawohl, Herr Hauptmann!"
    Ein Prickeln lief mir über den Rücken, mein Lappen fuhr mit mechanischen Bewegungen kräftig über die Scheiben, und ich fühlte die starren Blicke der Offiziere meiner Familie mit wollüstigem Behagen auf Schulter und Rücken. Als ich fertig war, trug ich den Schemel in die Rumpelkammer, holte Schüssel und Lappen und ging in die Küche.

    Mama sagte, ohne sich umzudrehen: "Setz dein Zeug ab und wasch dir hier die Hände."
    Ich trat an den Ausguß, Mama machte mir Platz, ich tauchte die Hände ins Wasser, es war heiß. Vater hatte uns verboten, uns in heißem Wasser zu waschen, und ich sagte leise: "Aber das Wasser ist ja heiß."
    Mama seufzte, nahm die Schüssel, goß sie wortlos im Ausguß aus und drehte den Wasserhahn auf. Ich nahm die Seife, Mama trat beiseite und wandte mir zur Hälfte den Rücken zu, die rechte Hand auf den Ausgußrand gestützt und die Augen fest auf den Küchenschrank gerichtet. Ihre rechte Hand zitterte leicht. Als ich fertig war, hielt sie mir den Kamm hin und sagte, ohne mich anzusehen: "Kämm dich!"
    Ich stellte mich vor den kleinen Spiegel, hörte, wie Mama wieder das Waschfaß in den Ausguß stellte, betrachtete mich im Spiegel und fragte mich, ob ich meinem Großvater ähnlich sähe oder nicht. Es war für mich wichtig, das zu wissen, denn wenn ja, konnte ich hoffen, wie er Oberst zu werden. Mutter sagte hinter meinem Rücken: "Der Vater erwartet dich."
    Ich legte den Kamm auf den Schrank und fing an zu zittern. "Leg den Kamm nicht auf den Schrank", sagte Mama. Sie tat zwei Schritte, nahm den Kamm, wischte ihn an der Schürze ab und legte ihn in die Schublade des Küchenschranks. Ich sah sie verzweifelt an, ihr Blick glitt über mich weg, sie kehrte mir den Rücken zu und nahm wieder ihren Platz vor dem Ausguß ein. Ich ging hinaus und langsamen Schritts zum Arbeitszimmer meines Vaters. Auf dem Korridor kam ich wieder an meinen Schwestern vorbei. Sie warfen mir tückische Blicke zu, und ich begriff, daß sie erraten hatten, wohin ich ging. Ich blieb vor der Tür des Arbeitszimmers stehen, bemühte mich mit aller Gewalt, nicht mehr zu zittern, und klopfte an. Vaters Stimme rief: "Herein!", ich öffnete die Tür, schloß sie wieder und nahm Haltung an. Sofort drang eine eisige Kälte durch meine Kleider hindurch bis auf die Knochen. Vater saß an seinem Schreibtisch, dem weit offenstehenden Fenster gegenüber. Er drehte mir den Rücken zu und rührte sich nicht. Ich verharrte im Stillgestanden. Der Wind trieb Regenböen ins Zimmer, und vor dem Fenster war eine kleine Pfütze. Vater sagte in seiner abgerissenen Sprechweise: "Komm her, setz dich."
    Ich ging hin und setzte mich auf einen kleinen niedrigen Stuhl links von ihm. Vater ließ seinen Sessel herumschwingen und sah mich an. Seine Augen lagen noch tiefer als gewöhnlich, und sein Gesicht war so mager, daß man alle Muskeln hätte einzeln zählen können. Die

    kleine Schreibtischlampe brannte, und ich war glücklich, im Schatte n sitzen zu können. "Frierst du?"
    "Nein, Vater."
    "Du zitterst doch nicht, hoffe ich?"
    "Nein, Vater."
    Ich bemerkte, daß es ihm selbst sehr schwerfiel, sein Zittern zu unterdrücken. Sein Gesicht und seine Hände waren blau. ."Bist du fertig mit Fensterputzen?"
    "Ja, Vater."
    "Hast du dabei gesprochen?"
    "Nein, Vater."
    Er senkte wie geistesabwesend den Kopf, und da er nichts mehr sagte, fügte ich hinzu: "Ich habe einen Choral gesungen."
    Er hob den Kopf wieder und sagte: "Begnüge dich damit, auf meine Fragen zu antworten.“ ".Ja, Vater.“ Er fuhr in seinem Verhör fort, aber zerstreut, gleichsam aus bloßer Gewohnheit: "Haben deine Schwestern gesprochen?“ "Nein, Vater.“ "Hast du Wasser verschüttet?“ “Nein, Vater.“ "Hast du auf die Straße gesehen?“ Ich zögerte eine Viertelsekunde. "Nein, Vater.“ Er sah mich fest an. "Gib gut acht. Hast du auf die Straße gesehen?“ "Nein, Vater.“ Er schloß die Augen. Er mußte wirklich zerstreut sein. Sonst hätte er mich nicht so schnell davonkommen lassen. Ein Schweigen entstand. Sein großer steifer Körper bewegte sich auf dem Sessel hin und her. Der Regen drang mit bösartigen Windstößen ins Zimmer, und ich fühlte, daß mein linkes Knie naß war. Die Kälte ging mir durch und durch, aber es war nicht die Kälte, unter der ich litt. Es war die Furcht, Vater könnte bemerken, wie ich wieder zu zittern
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