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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf
Autoren: Robert Merle
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achtunddreißigmal zurückgelegt hatte, mußte ich sie in der nächsten Pause nicht bloß zweimal mehr ablaufen, um meinen Rückstand aufzuholen, sondern noch zweimal zusätzlich als Strafe. Ich zählte: "Eins, zwei, drei, vier. ..", da tauchte der heitere rothaarige Hans Werner neben mir auf, packte mich am Arm, zog mich mit fort und rief: "Mensch, ich hab' aber was abgekriegt!"
    Ich verzählte mich, kehrte um und fing an der Kapellmauer wieder zu zählen an: "Eins, zwei. .."
    "Siehst du da", sagte Werner und legte die Hand aufs Auge, "das war mein Vater."
    Da blieb ich doch lieber stehen. '"Er hat dich geschlagen?"
    Werner brach in ein Gelächter aus. "Hihi! Geschlagen! Das ist nicht das richtige Wort. Es war eine ganze Tracht von Schlägen, eine mächtige Tracht. Und weißt du, was ich gemacht hatte?"
    fuhr er, noch lauter lachend, fort. "Ich hatte. .. hihi! die chinesische Vase. ..im Salon. ..zerbrochen. .."
    Dann wiederholte er in einem Zuge und ohne zu lachen, aber mit außerordentlich zufriedener Miene: "Ich hatte die chinesische Vase im Salon zerbrochen."
    Ich nahm meinen Marsch wieder auf und zählte ganz leise: "Drei, vier, fünf. .."
    Dann blieb ich stehen. Daß er ein so zufriedenes Gesicht machen konnte, nachdem er ein solches Verbrechen begangen hatte, bestürzte mich. "Und du hast es deinem Vater gesagt?"
    "Ich -es sagen! Was denkst du dir denn? Der Alte hat alles entdeckt."
    "Der Alte?"
    "Na ja, mein Vater."
    Also nannte er seinen Vater den "Alten", und was mir noch sonderbarer vorkam als dieser unglaubliche Mangel an Ehrfurcht, war, daß er in dieses Wort so etwas wie Zuneigung hineinlegte. "Der Alte hat eine kleine Untersuchung angestellt. ..Er ist schlau, der Alte; Mensch, er hat alles herausgekriegt!"
    Ich sah Werner an. Sein rotes Haar leuchtete in der Sonne, er sprang im Schnee auf der Stelle umher, und trotz seines blauen Auges strahlte er. Ich merkte, daß ich mich verzählt hatte, empfand meine Unzuverlässigkeit und Unbehagen darüber und lief zurück zur Kapellmauer.

    "He, Rudolf", rief Werner neben mir, "was hast du denn? Warum rennst du so? Bei diesem Schnee kann man sich ja die Knochen brechen."
    Ich ging, ohne ein Wort zu sagen, an die Mauer und fing wieder an zu zählen. "Dann aber", sagte Werner, während er seinen Schritt dem meinen anpaßte, "hat es mir der Alte gegeben! Am Anfang war es ja eher zum Lachen, aber als ich ihm einen Fußtritt ans Schienbein versetzt hatte. .."
    Ich blieb wie vor den Kopf geschlagen stehen. "Du hast ihm einen Fußtritt ans Schienbein versetzt?"
    "Aber dann", sagte Werner lachend, "Mensch, da wurde er unangenehm. Er fing an zu boxen. Da hab' ich was gekriegt! Er boxte und boxte. Und schließlich hat er mich k. O. geschlagen. .."
    Er brach wieder in Lachen aus. "Darüber war er selber ganz verdattert. Er übergoß mich mit Wasser und gab mir Kognak zu trinken, er wußte nicht mehr, was er machen sollte, der Alte."
    "Und dann?"
    "Dann? Na, dann hab' ich dumm getan, klar."
    Ich schluckte meinen Speichel hinunter . "Du hast dumm getan?"
    "Klar. Und da war der Alte noch verdatterter. Schließlich hat er in der Küche herumgesucht, und dann kam er wieder und gab mir ein Stück Kuchen."
    "Er gab dir Kuchen?"
    "Klar. Und weißt du, was ich da zu ihm gesagt habe? Wenn es so ist, habe ich gesagt, werde ich auch die andere Vase zerbrechen."
    Ich starrte ihn fassungslos an. "Das hast du gesagt? Was hat er denn da gemacht?"
    "Er hat gelacht."
    "Er hat gelacht?"
    "Er hat sich gebogen vor Lachen, der Alte. Die Tränen standen ihm in den Augen. Und er sagte -da siehst du, wie pfiffig der Alte ist! -er sagte: ,Wenn du kleiner Sauhund die andere Vase zerbrichst, schlag ich dir das andre Auge blau!"
    "Und dann?"
    sagte ich mechanisch. "Da hab' ich gelacht, und wir waren alle beide sehr lustig."
    Ich sah ihn mit offenem Munde an. "Ihr wart lustig?"
    "Klar!"
    Und mit entzückter Miene setzte er hinzu: "Kleiner Sauhund hat er mich genannt, kleiner Sauhund."
    Ich wachte aus meiner Betäubung auf. Ich hatte meine Schritte überhaupt nicht mehr gezählt. Ich sah auf die Uhr. Die Hälfte der Freistunde war schon vorüber. Ich war mit zwanzig Strecken im Rückstand, was mit der Strafe zusammen vierzig ausmachte. Mir war

    klar, daß ich diesen Rückstand nie aufholen konnte. Ein Angstgefühl überkam mich, und ich empfand Haß gegen Werner . "Was hast du bloß?"
    sagte Werner, während er hinter mir herlief. "
    Wo willst du denn hin? Warum kehrst du immer an der Mauer um?"
    Ich
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