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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf
Autoren: Robert Merle
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ich rieb immer weiter, schneller und immer stärker, bis mir die Arme weh taten. Um halb acht läutete Maria zum Abendessen. Nach dem Essen wurde das Abendgebet gesprochen, Vater stellte uns die üblichen Fragen, niemand hatte den Tag über einen Verstoß begangen, und Vater zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Um halb neun ging ich wieder auf mein Zimmer, und um neun kam Mama, um das Licht zu löschen. Ich lag schon im Bett. Sie schloß die Tür wieder, ohne ein Wort zu sagen und ohne mich anzusehen, und ich blieb im Dunkeln allein. Nach einer Weile streckte ich mich lang aus, die Beine steif nebeneinander, mit starrem Kopf und geschlossenen Augen, die Hände über der Brust gekreuzt. Mir war, als wäre ich gestorben. Meine Familie lag betend auf den Knien um mein Bett. Maria weinte. Das dauerte ein Weilchen, dann endlich erhob sich mein Vater, schwarz und mager, ging steifen Schrittes hinaus, schloß sich in seinem eiskalten Arbeitszimmer ein, setzte sich vor das weitgeöffnete Fenster und wartete darauf, daß der Regen aufhörte, um es dann zu schließen. Aber das nützte jetzt nichts mehr. Ich war nicht mehr da und konnte weder Priester werden noch bei Gott für ihn eintreten.

    Am nächsten Montag stand ich wie gewöhnlich um fünf Uhr auf, es war eiskalt, und als ich meine Fensterläden öffnete, konnte ich sehen, daß auf dem Dach des Bahnhofs Schnee lag. Um halb sechs frühstückte ich mit Vater im Eßzimmer. Als ich wieder in mein Zimmer ging, stand auf dem Korridor plötzlich Maria vor mir. Sie hatte auf mich gewartet. Sie legte mir ihre große rote Hand auf die Schulter und sagte leise: "
    Vergiß nicht, noch einmal rauszugehen! "
    Ich blickte weg und sagte: "Ja, Maria."
    Ich rührte mich nicht, ihre Hand drückte auf meine Schulter, und sie flüsterte: "Du mußt nicht sagen: 'Ja, Maria', du mußt gehen. Sofort."
    Sie drückte stärker . "Los, Rudolf!"
    Sie ließ mich los, ich ging zu dem Abort, ich fühlte ihren Blick in meinem Nacken. Ich öffnete die Tür und schloß sie hinter mir. Einen Schlüssel gab es nicht, und die Glühbirne hatte Vater heraus- gedreht. Das graue Licht des frühen Morgens fiel durch ein immer offenstehendes kleines Fensterchen herein. Der Raum war dunkel und kalt. Ich setzte mich schlotternd hin und starrte unentwegt auf den Fußboden. Aber das nützte nichts. Er war da mit seinen Hörnern, seinen großen herausquellenden Augen, seiner abfallenden Nase und seinen dicken Lippen. Das Papier war etwas vergilbt, weil Vater es schon vor einem Jahr an die Tür gezweckt hatte, gerade dem Sitz gegenüber in Augenhöhe. Schweiß lief mir über den Rücken. Ich dachte: 'Es ist nur eine Zeichnung. Du wirst doch vor einer Zeichnung keine Angst haben.' Ich hob den Kopf. Der Teufel blickte mir ins Gesicht, und seine eklen Lippen fingen an zu lächeln. Ich stand auf, zog meine Hose hoch und flüchtete in den Korridor. Maria kriegte mich zu fassen und zog mich an sich. "Hast du was gemacht?"
    "Nein, Maria."
    Sie schüttelte den Kopf, und ihre guten Augen blickten mich traurig an. "Du hast Angst gehabt?"
    Ich hauchte: "Ja."
    "Du brauchst bloß nicht hinzusehen."
    Ich schmiegte mich an sie und wartete mit Schrecken darauf, daß sie mir den Befehl gab, noch einmal zu gehen. Sie sagte nur: "Ein großer Junge wie du!"
    In Vaters Zimmer war ein Geräusch von Schritten zu hören, und sie flüsterte mir noch schnell zu: "Mach's in der Schule. Vergiß es nicht."
    "Nein, Maria."
    Sie ließ mich los, und ich ging in mein Zimmer. Ich knöpfte die Hose zu, zog die Schuhe an, nahm meine Schultasche vom Tisch und setzte mich auf einen Stuhl, die Schultasche auf den Knien, wie in einem Wartezimmer . Nach einer Weile hörte ich Vaters Stimme durch die Tür hindurch: "Sechs Uhr zehn, mein Herr!"
    Das "mein Herr"
    klang wie ein Peitschenknall. Auf der Straße lag der Schnee schon hoch. Vater ging seinen steifen, gleichmäßigen Schritt, ohne zu sprechen, und blickte geradeaus. Ich reichte ihm kaum bis zur Schulter und hatte Mühe, ihm zur Seite zu bleiben. Ohne den Kopf zu drehen, sagte er: "Halt doch Schritt!"
    Ich wechselte den Tritt, zählte dabei ganz leise: "Links. .. links. ..", Vaters Beine streckten sich maßlos, ich fiel von neuem in falschen Tritt, und Vater sagte in seinem abgerissenen Ton: "Ich habe dir gesagt -du sollst Schritt halten."
    Ich setzte wieder dazu an, ich krümmte mich, um ebenso große Schritte zu machen wie er, aber es war zwecklos, ich kam immer wieder aus dem Takt, und hoch über
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