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Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Titel: Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Autoren: Edith Kneifl
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gesagt, verrückt nach Pferden. Das hat sie von ihrem Va… Großvater“, stammelte Margarete von Leiden.
    Gustav hatte ihren Versprecher sehr wohl bemerkt, ließ sie aber weiterreden.
    „Leonie besucht das Mädchengymnasium. Sie ist eine gute Schülerin, aber ein bisschen wild, wenn Sie verstehen, was ich meine. Keiner konnte sie bisher bändigen. Sie hat sämtliche Kindermädchen und Gouvernanten in die Flucht geschlagen. Mein Mann hat sie sehr verwöhnt und ich war zu schwach, mich in Erziehungsfragen durchzusetzen.“ Sie wischte sich mit ihrem nicht mehr ganz so blütenweißen Taschentuch über die Augen.
    „Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch erzählen könnte.“
    „Wer sind ihre Freundinnen? Oft wissen die besten Freunde mehr über unsereins als die Familie.“
    „Leonie hat keine Freundinnen. Bis jetzt habe ich geglaubt, ich wäre ihre beste Freundin …“ Margarete von Leiden schnäuzte sich ungehörig lautstark.
    „Gibt es außer Ihnen noch jemanden, der mir etwas über Ihre Tochter erzählen könnte?“
    „Vielleicht mein Vater? Allerdings ist er momentan nicht gut auf Leonie zu sprechen. Er befürchtet, dass …, dass sie durchge… gebrannt sein könnte“, stammelte sie.
    „Mit wem? Hat er einen bestimmten Verdacht?“ Gustav konnte sein Erstaunen schwer verbergen.
    „Nein, nein, nicht dass ich wüsste. Er ist nur schrecklich wütend und sehr enttäuscht, dass sie zum zweiten Mal, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, verschwunden ist. Vor zwei Jahren war die Situation aber eine ganz andere. Leonie …“ Sie brach seufzend ab.
    „Was wollten Sie gerade sagen?“
    „Ich …, ich fühle, dass sie diesmal nicht einfach aus Lust und Laune davongelaufen ist, sondern dass viel Schlimmeres dahintersteckt. Eine Mutter spürt so etwas. Außerdem hat sie nichts bei sich, keine Kleider und Schuhe zum Wechseln. Selbst ihr Retikül habe ich in ihrem Nachtkästchen gefunden. Sie ist ohne Heller.“
    „Sie befürchten, dass Ihre Tochter entführt worden ist?“
    „Nicht auszudenken …“
    „Aber Sie haben bisher keine Nachricht erhalten? Keinen Erpresserbrief, keine Lösegeldforderung?“
    Sie schüttelte den Kopf. Ihre violetten Augen schimmerten feucht. Gustav wechselte rasch das Thema.
    „Sie wohnen bei Ihrem Vater?“
    „Ja, nach dem Tod meines Mannes sind Leonie und ich wieder in das Palais Schwabenau gezogen.“
    Gustav kannte den neoklassizistischen Neubau am Parkring nur von außen. Er nahm sich vor, Herrn von Schwabenau sobald wie möglich in seinem Prunkbau aufzusuchen.
    „Ich muss mit ihm reden. Wäre es Ihnen möglich, einen Termin für mich zu arrangieren?“
    „Wie spät haben wir?“
    „Viertel nach drei.“
    „Am besten, Sie kommen gleich mit mir. Wenn wir Glück haben, treffen wir ihn zu Hause an. Um diese Zeit beendet er normalerweise sein Mittagsschläf-chen.“
    2
    „Eine Kutsche?“ Gustav deutete auf den Fiakerstand gegenüber vor dem Hotel Imperial.
    „Nein. Lassen Sie uns zu Fuß gehen, es ist nicht sehr weit.“
    „Was für ein wunderschöner Tag“, sagte Gustav im Plauderton und bot ihr galant seinen Arm an.
    Als sie sich ganz ungezwungen bei ihm einhängte, streifte ihr Busen seinen Ellbogen. Er spürte wieder Bewegung in seiner Hose.
    Arm in Arm schlenderten sie die Ringstraße entlang. Der Lärm und Dreck auf den Baustellen am Straßenrand tat seinen romantischen Gefühlen keinerlei Abbruch. Ihr Parfüm raubte ihm beinahe den Atem. Oder war es all der Staub und Dreck? Wenn es nicht bald regnete, würde die Reichshauptstadt in einer dicken Staubwolke ersticken.
    „Wien wird jetzt zur Großstadt demoliert“, hatte Karl Kraus in der Künstlerzeitschrift Wiener Rundschau geschrieben. Dieser kritische Geist hatte wieder einmal Recht gehabt, dachte Gustav. Die Fertigstellung der Ringstraße, der Bau der Gasleitung und die Regulierung des Wienflusses – Baustellen, nichts als Baustellen seit über zwanzig Jahren. Obwohl Gustav ein glühender Anhänger des Fortschritts und der Moderne war, litt auch er unter dieser permanenten Lärm- und Geruchsbelästigung.
    Der vier Kilometer lange, kreisförmige Prachtboulevard rund um die Wiener Innenstadt war drei Jahre nach seiner Geburt eröffnet worden. Die wichtigste städtebauliche Veränderung in Wien seit dem Mittelalter, hatte sein Großvater einst stolz behauptet. Vorher sei Wien eine enge, dunkle und überfüllte Stadt gewesen, eingezwängt in mittelalterliche Mauern. Die Vorstädte ringsum waren durch das Glacis
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