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Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Titel: Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Autoren: Edith Kneifl
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ohnehin, wer es war.
    Während er mir den Knebel abnahm, drohte er, mir die Kehle aufzuschlitzen, wenn ich nur den leisesten Ton von mir geben würde. Die Spitze seines Messers kitzelte meinen Hals. Trotz seiner Drohung hätte ich fast geschrien, als die Kerzenflamme plötzlich eine unheimliche Fratze beleuchtete.
    Zu meinen Füßen lag der gehörnte Luzifer mit roter, herausgestreckter Zunge. Ein riesiger, behaarter Schwanz ragte aus seiner feurigen Hose. Allerdings schien Luzifer aus Pappe zu sein, während mein Peiniger real war.
    Er gab mir Wasser und ein Stück Brot. Gierig verschlang ich das Brot. Den Becher trank ich in einem Zug leer. Leise flehte ich ihn dann an, mich nicht mehr zu knebeln. Ich schwor, nicht um Hilfe zu rufen. Er lachte nur und stopfte mir den Mund zu. Sogleich geriet ich wieder in Atemnot. Mein Unterkiefer zitterte. Lautlos begann ich zu weinen.
    Ich spürte eine Hitzewelle in mir hochsteigen, von den Füßen bis zum Kopf. Mein Atem setzte für ein paar Sekunden aus. Mein Zwerchfell schien blockiert.
    Aber ich gab nicht auf. Langsam sog ich die Luft durch die Nasenflügel ein und blies sie wieder raus. Mein Puls klopfte heftig in meinem Hals. Im Kopf drehte sich alles. Als das Blut in meinen Ohren zu dröhnen begann und kleine Blitze vor meinen Augen explodierten, befürchtete ich, in Ohnmacht zu fallen.
    Er packte mich an den Armen und setzte mich auf einen Kübel.
    Mir war nichts mehr peinlich, nicht einmal das laute Plätschern, als ich mich erleichterte. Ich spürte, dass er es genoss, mich zu demütigen.
    Als ich fertig war, half er mir aufzustehen. Ich machte einen raschen Schritt nach links und gab dem Kübel einen Stoß. Sein Schrei, als sich der Inhalt des Kübels über seine Füße ergoss, bereitete mir eine große Genugtuung. Aber mein Triumphgefühl hielt nicht lange an. Seine Ohrfeige raubte mir das Bewusstsein. Die Dunkelheit hüllte mich wieder ein.

Donnerstag, 2. Juli 1897
    1
    Gustav von Karoly war ein großer Freund der Frauen. Er sah dem schwachen Geschlecht so manchen Fehler nach. Doch er hasste Unpünktlichkeit. Obwohl er momentan nichts Besseres zu tun hatte, als sich dem Müßiggang hinzugeben, konnte er es nicht leiden, wenn jemand seine Zeit verschwendete. Ungeduldig rutschte er auf der mit braunem Leder überzogenen Sitzbank im Café Schwarzenberg hin und her und zupfte so lange an der weißen Blume in seinem Knopfloch, bis nur mehr zwei Blütenblätter übrig waren. Die restlichen Blätter der Gardenie lagen verstreut unter dem wackeligen Marmortischchen auf dem schmutzigen Boden. Seine Augen wanderten immer wieder zwischen der Eingangstür und dem großen Porträt von Kaiser Franz Joseph I., das über der Theke hing, hin und her. Zu Hause hatte er das Konterfei Seiner Majestät aus seinem Zimmer entfernt. Da seine Tante es ebenfalls nicht aufhängen wollte, hatte sein ehemaliges Kindermädchen Josefa das Bild in ihrem Kabinett hängen. In den öffentlichen Gebäuden, den Cafés und Geschäften der Residenzstadt aber konnte man dem väterlichen Blick des Herrschers nicht entkommen.
    Der erste Tisch im Café Schwarzenberg, gleich links neben dem Eingang, diente Gustav als provisorisches Büro. Lieber wäre ihm der Tisch in der Fensternische, rechts von der Eingangstür, gewesen, denn dort war es wesentlich ruhiger als hier, gegenüber der Theke. Doch das war der Stammtisch von Josef Hoffmann, einem Architekten und Künstler, der gerade, gemeinsam mit Joseph Maria Olbrich, Gustav Klimt und anderen Künstlern, die Wiener Secession gegründet hatte.
    Der Anblick all der hübschen Damen der Halbwelt und der besseren Gesellschaft, die vor seinem Fenster vorbeiflanierten, ließ ihn die Benachteiligung gegenüber dem bekannten Architekten leichter in Kauf nehmen. Der Ringstraßenkorso begann an der Sirkecke, beim feinen Lederwarengeschäft des Herrn August Sirk, gegenüber des k.k. Hofoperntheaters, und endete am Schwarzenbergplatz, quasi vor seinem Fenster. So mancher Blick aus himmelblauen oder rehbraunen Augen streifte wohlwollend seine ebenmäßigen Züge und seinen sorgfältig gekämmten, dichten, schwarzen Schnurrbart.
    Dennoch fand er es höchst ärgerlich, dass sich seine Tante weigerte, ihm das Kabinett, das früher sein Kinderzimmer gewesen war, als Büro zu überlassen. Sie hatte nach dem Tod seiner Mutter Zimmer und Kabinett, die vom Vorraum aus separat begehbar waren, untervermietet. Bis vor kurzem hatten Hermann Baier und seine Frau dort gewohnt. Als dem
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