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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich
Autoren: Max Bronski
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Laune, er fällte keine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Wenn man nachbohrte, merkte man, dass er seine Handlungsweise wohl zu begründen verstand. Er war ein grüblerischer Mensch, der ständig in sich hineinhorchte, dazu ein Musiknarr, der viel Zeit damit verbrachte, auf seiner Geige oder dem Harmonium in der Schlosskapelle zu spielen. Demgegenüber stand seine Manie, alles messen und berechnen zu wollen. In seine voluminöse Armbanduhr war ein Rechenschieber integriert, den er jedem Taschenrechner vorzog. In dieses Bild passte, dass er einige Wissenschaftsmagazine abonniert hatte, die er mit großer Akribie durchackerte.
    Vor gut sechs Jahren, kurz nach meiner Einstellung, hatten wir uns darangemacht, die Rosenbeete im Prälatengarten zu erweitern. Die Idee, die Anlage zu vermessen und umzugestalten, ging auf Eulmann zurück. Mit dem Maßband ermittelte er die neuen Begrenzungspunkte und fixierte die Größe und Lage der Beete mit Pflöcken.Er begutachtete das Resultat seiner Arbeit aus immer wieder anderen Perspektiven, bestieg die Gartenmauer für einen Überblick und ging in die Hocke, um den Standort der Pflöcke zu kontrollieren. Bevor wir zur Markierung die Schnüre spannten, schritt er seine Messungen noch einmal ab. Dabei summte er in seinem Altherrentenor vor sich hin. Ich dachte, Freude habe ihn gepackt, weil alles so gut zu gelingen schien. Dann aber merkte ich, dass er jeder Messstrecke einen Ton zuordnete.
    – Die Quinte hier stimmt nicht.
    Er war stehen geblieben und schüttelte den Kopf. Ich schaute ihn verdattert an.
    – Wovon sprichst du eigentlich?
    Er bemerkte meine Fassungslosigkeit.
    – Du glaubst, ich bin übergeschnappt?
    Er winkte mich heran.
    – Schon mal etwas vom Monochord gehört?
    Ich wiegte den Kopf und dachte nach. Er winkte ab.
    – Denk dir eine Saite. Wenn wir sie mit klaren, ganzzahligen Werten unterteilen und die verkürzten Saitenlängen anschlagen, dann klingen sie harmonisch zueinander. Aber nur, wenn sich die Stücke wie eins zu zwei, zwei zu drei oder drei zu vier und so fort verhalten. Wenn du jetzt, sagen wir: vier Dreizehntel zu neun versuchen würdest, klingt es schmutzig.
    – Und warum?
    – Weil geometrische Proportionen, die wir als schön empfinden, Längenmaße enthalten, die, auf eine Saite übertragen, auch harmonisch klingen. Die Wahrnehmung von Schönheit beruht beim Hören und Sehen auf denselben mathematischen Prinzipien.
    Eine Ahnung von dem, was er meinte, zog in mir auf.
    – Das Grundmaß des Gartens, übrigens nicht von uns, sondern von unseren klugen Vorgängern angelegt, sind zwölf Meter. Als hättensie dabei an die zwölf Töne der Notenskala gedacht. Das große Beet misst zum Beispiel zwölf Meter, die beiden kleinen zusammen ergeben zwölf und so fort. In die Musik übersetzt ergibt sich aus der Zwölf unser Grundton, und ich versuche nun dem Ganzen ein Zusammenspiel aus Oktave, Quinte und Quarte zu geben.
    Er summte mir das Exempel noch einmal vor.
    – Bis zum Mäuerchen haben wir zunächst Grundton und dann Quinte. Und was hat man da für einen Eindruck?
    – Keine Ahnung, ich verstehe nichts von Musik.
    – Dass etwas aufgemacht wird. Die Quinte öffnet den Tonraum. Hier brauchen wir aber einen Abschluss. Muss also die Quarte sein. Klar?
    Er gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf.
    – Auch wenn du meine Idee jetzt nicht verstehst, du wirst sie begreifen, wenn die Anlage zugewachsen ist. Komm, wir stecken das noch mal um.
    Ob er damit recht hatte, konnte ich nicht entscheiden. Allerdings erfreute sich der Prälatengarten größter Beliebtheit, was sich aber wohl auch auf den prächtigen Bewuchs und nicht nur die zumeist verborgen liegenden Harmonien der Beete, Wege und Brunnen untereinander zurückführen ließ.
     
9.
    Vor fünf Jahren schließlich war Eulmann in Pension gegangen und ich folgte ihm als Verwalter nach. Er lebte nun zurückgezogen in seinem Holzhaus und begann sich, wie Rasso Hambichl, Musiklehrer und Organist in Ottenrain, es einmal gesagt hatte, in einen Walderemiten zu verpuppen. Musik, Bücher, Meditation und die Pflege seines japanischen Gartens, den er mit großem Aufwand angelegt hatte, waren seine Beschäftigungen. Telefon schaffte er sich nicht an.Wenn ich sonntags einmal nicht da war, fuhr ich vorher bei ihm vorbei und gab ihm Bescheid. Er stand mir zwar auch weiterhin mit seinem Rat zur Seite, respektierte es jedoch, wenn ich einen eigenständigen Weg gehen wollte. Das galt insbesondere für unsere
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