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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich
Autoren: Max Bronski
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hinter der Schwelle wusste ich, dass ich es nicht fertigbringen würde. Unsichtbare Tentakel tasteten mich ab. Auf meine Brust legte sich ein Druck, der mich kurzatmig werden ließ. Ich gab mir einen Ruck und strengte mich an, nur das wirklich Wahrnehmbare an mich heranzulassen. Nur das Sichtbare, nur Geräusche! Warum hatte ich nicht daran gedacht, eine Taschenlampe mitzunehmen? Der scharfe, unbeteiligte Blick, den ich mir verordnen wollte, war verlorene Liebesmüh, denn der Saal blieb in undurchdringliches Grauschwarz getaucht, aus dem mein überreiztes Hirn wie aus wogendem Plasma immer neue Gestalten formte. Achtete ich nur auf Geräusche, nahm ich ein Rascheln, Schlurfen und beständiges Ticken wahr. Solche Geräusche verschwanden genauso rasch, wie sie gekommen waren, wenn ich glaubte, sie orten zu können. Endlich gestand ich mir meine vollständige Hilflosigkeit ein. Ich konnte aus mir keinen Helden herauszwingen. Etwas saß mir im Nacken, eine namenlose Angst wie in Erwartung eines Hiebs, und so entfernte ich mich langsam Schritt für Schritt rückwärts aus dem Raum.
    Ich setzte mich wieder in die Loge, goss den restlichen Kaffee ein und schämte mich. Wie hatte ich als Kind meine Mutter angebettelt, mich bei Dunkelheit nicht mehr in den lichtlosen Schuppen zu schicken, um Holz und Kohlen zu holen! Solche Ängste konnte ich auch als Erwachsener nicht abschütteln.
    Um mich abzulenken, kehrte ich zu meinem Buch zurück. In einer Art von Zwang stieß ich rasch auf einen Abschnitt, der sich dem sogenannten Fluch des Pharao widmete. Wie von einer Viper gebissen klappte ich das Buch zu. Nun war der Damm gebrochen. Ich wusste, dass ich, um mich zu schützen, dieses Kapitel keinesfalls lesen durfte. Zittrig hüllte ich mich in meine Decken und versuchte etwas Helles, Tagklares und Warmes zu denken. Den Hochstädter See im glitzernden Sommerlicht, das Lachen der jungen Frauen, die Gänsehautauf ihren braunen Schenkeln, wenn sie aus dem Wasser stiegen, die Fangspiele der Kinder. Aber nichts half mir wirklich weiter.
    Also hob ich vorsichtig den Blick und versuchte mich endlich dem zu stellen, was dort drüben stattfand: eine Versammlung von Dämonen, die nachts ihre Unterwerfung unter die Herrschaft der fremden Ordnung abschüttelten, eine Zusammenkunft von Geistern, die alte Rituale aufleben ließen und die dazu die gesamte Örtlichkeit in Besitz genommen hatten. Und der Saal fügte sich, als sei die Behausung von Schattenwesen schon immer seine Bestimmung gewesen. Alle Nippesfantasien von Rokokodamen und galanten Herren, die ich bei Führungen zitierte und nach denen hier gut gelaunte Herrschaften schöne Tanzfiguren aufs Parkett zirkelten, verschwanden. Dieses Gemäuer hatte Jahrhunderte gesehen und ihr Leid, ihr Unglück und ihren Schmerz aufgesogen. In jedem Stein ruhte eine Geschichte.
    Solche wilden Vorstellungen verwirbelten sich in meinem Kopf.
    Als dann unten jäh und laut die Riegel der großen Tür aufgeschlagen wurden, stockten mir Herz und Atmung. Eulmann kam die Treppe herauf, um mich abzulösen.
    – War was, fragte er und prüfte meinen Gesichtsausdruck.
    – Alles bestens. Keine besonderen Vorkommnisse.
    Ich vermied, ihm ins Gesicht zu sehen. Der ausgestandene Schrecken war mir anzumerken. Mit gesenktem Kopf raffte ich Decke, Thermoskanne und Buch zusammen. Aus den Augenwinkeln meinte ich ein Lächeln in Eulmanns schmalem Gesicht zu bemerken. Ich sagte, ich sei hundemüde und müsse mich gleich hinlegen. Er ließ mich wortlos gewähren und klopfte mir nur zum Abschied auf die Schulter.
    Erlöst schloss ich das große Tor hinter mir und trat ins Freie. Die frische Luft tat gut. Ich durchquerte den Ziergarten, den wir neben der Kapelle kultiviert hatten. Wir nannten ihn für unsere Besucher
Prälatengarten
, um das Anheimelnde der Anlage hervorzuheben. Jeder Strauch und jedes Pflänzchen waren mir vertraut, ich atmete durch und fühlte mich erleichtert und frei. Meine Ängste kamen mir nun vollends unangemessen und kindisch vor.
    Endlich erreichte ich das Gutshaus. Dort hatte ich im Obergeschoss eine Wohnung, die eigentlich dem Gutsverwalter zustand. Nach Eulmanns Auszug war sie mir zugefallen. Leise stieg ich die Treppen nach oben. Die alten Bohlen knarrten. Miras kleine Wohnung befand sich im ersten Stock. Sie führte den Rothenbergs den Haushalt. Vor ihrer Tür blieb ich stehen und lauschte. Man hörte ihre regelmäßigen Atemzüge. Sacht drückte ich die Klinke. Wenn Mira nicht absperrte, durfte
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