Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
Harke in Strömungslinien. Schließlich hielt er doch inne und stützte sich auf den Stiel der Harke. Er trug eine Art Kaftan und einen an den Rändern ausfransenden Strohhut. In seiner Bewegungslosigkeit wirkte er wie eine Vogelscheuche, die man dort in die Mitte gestellt hatte.
    – Bertold?
    Der Alte wandte sich langsam um. Obwohl seine Augen ausreichend beschattet waren, legte er die Hand an die Krempe seines Huts, um den Gast zu mustern. Unschlüssig blieb er auf seine Harke gelehnt stehen, bis ihn der andere heranwinkte. In einer seltsam anmutenden Choreografie, bei der er sich von dem Ankömmling zunächst einmal abwenden musste, um auf ihn zuzugehen, folgte er dem ausladenden Wellenkamm, den er zuvor in den Sand geharkt hatte. Schließlich stand er vor ihm und nahm ihn in Augenschein. Der Fremde schien Wert darauf zu legen, erkannt zu werden, jedenfalls zog er seinen Hut vom Kopf, um sein Gesicht im Licht zu zeigen.
    – Bertold, fragte er nochmals.
    Der Angesprochene wiegte den Kopf, als gäbe es Zweifel, dann nickte er. In stummer Erinnerung lief eine lange Geschichte ab. Aber auch nach dieser Vergegenwärtigung hatte er nichts mit ihm abzugelten. Erst jetzt bemerkte er die Waffe, die sein Gegenüber in der Hand hielt. Einen Moment lang flackerte Erschrecken in seinen Augen auf. Gleich darauf hatte er sich wieder unter Kontrolle, und von seiner gleichmütigen Miene war keine innere Bewegung mehr abzulesen. Er faltete die Hände und verbeugte sich wie einer, der in Demut sein Schicksal annahm. Dann drehte er sich um und kehrte ohne Hast zu der zuletzt bearbeiteten Stelle zurück. Er nahm seine Arbeit wieder auf und wies dem anderen wie zuvor den Rücken.
    Als habe er Scheu, die Sandfläche zu betreten, blieb der Besucher am Rand in einer Entfernung von etwa fünf Metern stehen. Er hob die Waffe und zielte. Die Kugel traf den Nacken. Der Getroffene schwankte, wollte nach hinten zurückweichen, um nicht in seine Wellenzeichnung zu fallen. Schließlich kippte er doch kopfüber nach vorne. Das aus der Wunde strömende Blut sickerte in den Sand.
    In der Ferne bellte ein Hund.
    Der Besucher atmete tief durch und lauschte wie in ein Gebet versunken den Geräuschen der Natur. Das an- und abschwellende Zirpen der Grillen, das Tschilpen von Finken, Schreie von Krähen und dann das Brummen einer metallisch blaugrün schimmernden Schmeiß fliege, die den Kopf des im Sand Liegenden umkreiste.
    Schließlich ging er näher an den Getroffenen heran und beugte sich über ihn. Er hörte ein Stöhnen, in das sich undeutlich Worte zu mischen schienen, und drehte ihn auf den Rücken.
     
2.
    Der Sterbende schlug die Augen auf und begegnete noch einmal dem Blick seines Mörders. Dann glitt sein Kopf zur Seite und die zunehmendundeutlicher werdende Wahrnehmung verlor sich in der feinkörnigen, hellen Fläche seines Gartens wie in einer weit gestreckten Wüste. Alles darin war flüchtige Gestaltung, in der er zu Wellen aufgeworfene Dünen erkannte, die sich bis zum Horizont hin wanden. Auf ihrem Kamm zeichneten Wind und Hitze sich verwirbelnde, schlängelnde Erscheinungen. Auf der dem Wind abgewandten Flanke floss der Sand in lang gezogenen Rinnsalen herunter. Er öffnete seinen Mund, und, da er es nicht mehr zustande brachte, dachte ein Lächeln.
    In bildhafter Klarheit zog ein letztes Mal seine große Entdeckung herauf. Am Anfang stand ein Prinzip unbekannter Herkunft, einheitlich stark in seiner Art, ohne Schwäche und Makel, reine Kraft, die sich entfaltete. Er durchlebte alle Phasen ihres Wirkens, bis am Ende der Impuls in seinen Formungen verschwunden war und von einer Hülle umkleidet wurde wie Samen von einer Fruchtkapsel. Endlich, dabei aber unbegrenzt – von diesem Gegensatz hatte er sich nie eine andere Vorstellung bilden können als die einer rotierenden Kugel, auf deren Oberfläche die Holzlokomotive seiner Kindheit ebenso Platz fand wie die Armspange des Achilles, aber auch das Lachen Alexander des Großen beim Anblick von Amun-Re und der Abwurf von Little Boy über Hiroshima. Und natürlich auch sein Tod, der jetzt wie flutendes Licht auf ihn herabkam.
    – Wenn der Schein von tausend Sonnen plötzlich am Himmel hervorbräche, wäre es gleich dem Glanze dieses Herrlichen …
    In ihm war alles aufgehoben, das Ende, aber auch jeder Anfang. Er begegnete dem Unergründlichen.
    – Wer bist du, Fürchterlichgestaltiger?
    Dann brach der Totgeweihte ab.
     
3.
    Sein Widersacher ging so nah an ihn heran, dass er ihm ins Ohr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher