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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich
Autoren: Max Bronski
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flüstern konnte.
    – Der Tod bin ich, Erschütterer der Welten.
    Er richtete sich auf, setzte erneut seine Waffe an, hielt auf den Hinterkopf und drückte ab. Ein Zucken fuhr durch den Leib. Ohne den Blick von dem starr werdenden Körper abzuwenden, schraubte er den Schalldämpfer vom Lauf der Pistole, wickelte sie in ein Tuch und verstaute sie in dem Futteral.
    Schließlich ging er zum Haus. Die Tür stand offen. Drinnen verschaffte er sich einen groben Überblick. Kurz danach ahnte er schon, dass er nichts finden würde. Die Einrichtung war karg, hier lebte ein Eremit. Durch die offene Tür sah er den Toten im Sand. Er lag reglos und doch so, als würde er ihn beobachten.
    Schubladen und Schränke waren unverschlossen. Ohne Hast suchte er das Mobiliar ab. Er prüfte Matratzen, Kissen und Teppiche, er visitierte Taschen, Dosen und Schachteln. Dann setzte er eine Brille auf, an deren Gestell eine Doppellupe geklippt war, kroch auf allen vieren durch die Räume und durchforschte Bohlen und Holzverschalungen. Er klopfte und horchte, um dem Haus Hohlräume abzulauschen, eine lange Nadel, die er bei sich hatte, setzte er wie eine Sonde ein, um Dahinterliegendes zu ergründen. Schließlich fügte er sich der Erkenntnis, dass seine Hoffnungen vergeblich gewesen waren.
    Er trat aus dem Haus. Auf dem Hinterkopf des Toten hatten sich Schmeißfliegen niedergelassen. Aus der Entfernung sah ihr Gewimmel wie eine blaugrüne Membran aus, die sich hob und senkte. Sorgenvoll blickte er nach oben. Eine Schar Krähen kreiste krächzend über dem Haus, zerstob dann und ließ sich in den nahen Bäumen nieder. Kurz entschlossen packte er den am Haus lehnenden Spaten und begrub den Toten im Sand. Er glättete den aufgeworfenen Haufenund zeichnete mit der Schaufelspitze zwei übereinanderliegende Dreiecke.
    Die Sonne war hinter den Bäumen verschwunden.
     
4.
    Führungen durch Schloss Ottenrain brauchte an einem Badesonntag wie heute niemand, es sei denn mein Chef, der Hausherr.
    – Vielleicht gibt es ein Gewitter, meinte Leo. Und dann haben wir volles Haus.
    Ich warf einen Blick auf den wolkenlosen Himmel und zuckte die Achseln.
    – Möglich, erwiderte ich, um ihn nicht vollends zu enttäuschen.
    Bei Regen war die Gaststube unten in der Wirtschaft stets brechend voll, wer keinen Platz mehr fand, drängte herauf und machte, um trocken zu bleiben, eine Führung. Aber danach sah es leider nicht aus. Trotzdem ging ich regelmäßig zum Kassenhäuschen am Eingang hinunter, setzte mich hinein und wartete. Für eine Führung sollten wenigstens zehn Personen zusammenkommen. Gegen Mittag spazierten vier alte Damen den Schlossberg herauf. Ihre Liebe zum Adel trotzte jedem Wetter. Auf dem grob gepflasterten Vorplatz hakten sie sich paarweise unter. Am Eingang löste sich eine aus der Gruppe und kam zur Kasse. Durch das ovale Sprechfensterchen lächelte sie zu mir herein.
    – Vier Erwachsene, sagte sie unter dem Gekicher ihrer Gefährtinnen. Mit Führung.
    Sicher hatten sie das Schild bemerkt, demzufolge nur größere Gruppen durch das Schloss geführt werden konnten. In ihrer angeregten Stimmung machten sie aus ihrem Alter ein Privileg, das ihnen gestattete, Hindernisse zu übersehen. Und ich brachte es nicht übers Herz, sie wegzuschicken.
    Ich verschloss das Kassenhäuschen und ging voraus.
    – Und wenn wir ihm begegnen, wie sprechen wir ihn an?
    – Sagen Sie einfach Herr Baron zu ihm. Sein korrekter Name ist Leopold Freiherr von Rothenberg.
    Die Damen lachten höflich, und ich schleuste sie durch die Räume. Dass Leos Großvater eine Bartholdy-Wildenhain geehelicht hatte, wussten sie aus einschlägiger Lektüre. Vor allem das Schlafzimmer mit Himmelbett, die atlasblaue Wäsche und der Wandschrank der Baronin entzückten sie. Beseelt spazierten sie anschließend zur Schlosswirtschaft hinunter.
    Bis in den Nachmittag hinein war Langeweile. Ich verlegte meinen Platz nach draußen in den Hof. Aus dem mit massiven Steinen umfassten Brunnen drang auch im Sommer von tief unten eine angenehme Kühle herauf, dazu spendete der alte Lindenbaum ausreichend Schatten. Ich hatte dort einen runden Tisch aufgestellt und eine Tischdecke aufgelegt. Richard Eulmann, mein Vorgänger, pflegte mich sonntags zu besuchen. Er wohnte in einem am Waldrand gelegenen Haus außerhalb von Ottenrain, das früher einmal als Jagdhütte gedient hatte. Am Sonntagnachmittag unternahm er regelmäßig einen längeren Spaziergang, der ihn zu mir führte. Wir tranken dann Tee
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