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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt
Autoren: Robert Lyndon
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mochte sein Ende sein, doch Tisch und Bett würden sie nur bei den Leuten finden, die den Engländer gehängt hatten.
    Der Sizilianer blieb erschöpft stehen, seine Augen wirkten in dem blassen Gesicht dunkel und ausdruckslos. Er starrte auf die zerstückelte Leiche hinab und zischte angeekelt.
    «Wer hat das getan?»
    «Hungerndes Bauernvolk», sagte der Franke und nahm die Zügel des Maultiers. «Sie waren noch hier, als ich kam. Ein Glück, dass nicht du vorangegangen bist.»
    Der Blick des Sizilianers zuckte in alle Richtungen und blieb schließlich an dem Sack hängen.
    «Was ist das?»
    Der Franke reagierte nicht auf die Frage. «Sie können nicht weit sein. Bestimmt lauern sie uns irgendwo auf.» Er führte das Maultier von dem Galgen weg. «Halte dich dicht hinter mir, wenn du nicht in einem Kochtopf enden willst.»
    Der Sizilianer konnte sich vor Schwäche kaum noch von der Stelle bewegen. «Ich hasse dieses Land», murmelte er. Seine Erschöpfung war so groß, dass er einen Gedanken nur noch zu fassen bekam, wenn er ihn aussprach. «Ich hasse es!»
    Ein schwaches Maunzen ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Er hätte schwören können, dass das Geräusch aus dem Sack kam. Er sah dem Franken nach und stellte beunruhigt fest, dass seine Gestalt beim Abstieg vom Hügelkamm schon außer Sicht geriet. Der Sack maunzte wieder. Vögel sanken aus dem steingrauen Himmel nieder wie zerfledderte schwarze Lumpenbündel. Einer von ihnen hüpfte auf den Schädel der Leiche, schielte ihn an, und versenkte seinen Kopf in dem weit aufgerissenen Mund. «Wartet!», schrie der Sizilianer, und stolperte über den grausigen Hügelkamm seinem Herrn hinterher.
     
    Der Franke hastete durch die Abenddämmerung. Der Weg wurde ebener, und die Umrisse ferner Berge kamen in Sicht. Ein Stück weiter sank er in die Hocke, um ein breites Tal in Augenschein zu nehmen, das sich vor ihm öffnete. Eine Flussniederung lag in tiefen Schatten, und er hätte die Burg vielleicht nicht entdeckt, wenn sie nicht so neu gewesen wäre. Die Axtspuren an dem weiß gekalkten Balkenwerk waren noch deutlich zu erkennen. Die Burg stand auf der Landzunge zwischen dem Zusammenfluss zweier Ströme, von denen einer aus Norden und der andere in einem weiten Bogen von Westen kam. Mit den Augen folgte er dem Flusslauf, bis dieser von der aufsteigenden Dunkelheit im Osten verschlungen wurde. Er rieb sich die Augen und warf einen erneuten Blick auf die Burg. Normannisch, zweifellos, gebaut in Form einer Acht, der Bergfried auf einer Motte mit eigener Palisade errichtet, der saalartige Palas und einige weitere, kleinere Gebäude etwas niedriger hinter einer zweiten Einfriedung gelegen. Keine schlechte Stelle, dachte er. Auf zwei Seiten von Flüssen geschützt, die von leicht zu verteidigenden Brücken überspannt wurden.
    Er hob den Blick zu einer Verteidigungslinie auf dem Hügelkamm ein paar Meilen hinter der Burg. In seinem ganzen Leben auf den Schlachtfeldern hatte er nichts dergleichen zu Gesicht bekommen – ein Wall, unterbrochen von Wachtürmen, zog sich ohne Rücksicht auf die Hindernisse der Natur quer durch die Landschaft. Das musste die Befestigung sein, die von den Römern zum Schutz ihrer nördlichsten Grenze vor den Barbaren gebaut worden war. Und es stimmte, im Dämmerlicht der aufziehenden Nacht sahen die winterlichen Hügel dahinter aus wie das Ende der Welt.
    Ein Rauchschleier hing über der Burg. Er glaubte zu erkennen, dass sich von den umliegenden Feldern Menschen auf die Burg zubewegten. Nicht weit flussabwärts lag ein Dorf von ansehnlicher Größe, doch die Häuser schienen eingestürzt, und von den vereinzelten Bauerngehöften außerhalb des Dorfes waren nur noch große, verkohlte Aschehaufen geblieben. Seit sie vor fünf Tagen den Humber überquert hatten, waren die Reisenden an keinem einzigen bewohnten Dorf mehr vorbeigekommen. Plünderung des Nordens wurde diese Verwüstung genannt – die normannische Rache für einen Aufstand der Engländer und Dänen in York zwei Winter zuvor. Im letzten Tageslicht stellte der Franke fest, dass der Weg zur Burg durch ein Wäldchen führte.
    Der Sizilianer sackte neben ihm zu Boden. «Habt Ihr es gefunden?»
    Der Franke deutete auf die Burg.
    Der Sizilianer spähte in die Dämmerung. Der hoffnungsfrohe Funke in seinen Augen erlosch, und er verzog enttäuscht das Gesicht. «Das ist ja nur ein hölzerner Turm.»
    «Was hast du denn erwartet? Einen Marmorpalast mit vergoldeten Turmspitzen?» Der Franke
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