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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt
Autoren: Robert Lyndon
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richtete sich auf. «Hoch mit dir. Bald ist es dunkel, und heute Nacht sieht man keine Sterne.»
    Der Sizilianer blieb auf dem Boden liegen. «Ich glaube nicht, dass wir dort hinuntergehen sollten.»
    «Was willst du damit sagen?»
    «Es ist zu gefährlich. Wir können die Dokumente ebenso gut dem Bischof von Durham übergeben.»
    Die Kiefermuskeln des Franken spannten sich. «Ich habe dich sicher durch ganz Europa geführt, und nun, wo wir unser Ziel vor Augen haben, nach all den Entbehrungen, die ich auf mich genommen habe, willst du, dass wir
umkehren

    Der Sizilianer rieb sich die Fingerknöchel. «Ich hätte niemals erwartet, dass unsere Reise so lange dauert. Die Normannen betrachten Fragen der Erbfolge ziemlich nüchtern. Unsere Nachricht ist ihnen möglicherweise gar nicht mehr willkommen.»
    «Willkommen oder nicht, heute Nacht wird es schneien. Durham liegt einen Tagesmarsch hinter uns. Die Burg ist unsere einzige Zuflucht.»
    Unvermittelt verstummten die Aasvögel. Der ganze Schwarm erhob sich, flog einen Kreis und schwebte dann zu dem Wäldchen hinunter. Als ihre gezackten, schwarzen Umrisse verschwunden waren, breitete sich eine lastende Stille aus.
    «Hier.» Der Franke warf dem Sizilianer ein Stück Brot hin.
    Der junge Mann starrte das Brot an. «Ich dachte, wir hätten nichts mehr zu essen.»
    «Ein Soldat hält immer eine Reserve zurück. Mach schon. Nimm es.»
    «Aber was ist mit Euch?»
    «Ich habe meinen Anteil schon gegessen.»
    Der Sizilianer stopfte sich das Brot in den Mund. Der Franke entfernte sich ein paar Schritte, damit er nicht mit ansehen musste, wie der andere aß. Als er zurückging, schluchzte der Junge.
    «Was ist denn nun wieder?»
    «Es tut mir leid, Herr. Ich war nichts als eine Last und eine Prüfung für Euch.»
    «Steig auf das Maultier», befahl der Franke und erstickte gleich jeden Protest. «Ich mache mir keine Sorgen um deine Bequemlichkeit, ich will nur nicht noch eine Nacht mit einem Stein als Kopfkissen schlafen.»
     
    Bis sie das Wäldchen erreicht hatten, waren die Bäume kaum noch zu sehen. Der Franke hielt sich am Schwanz des Maultiers fest und ließ das Tier den Weg suchen. Er stolperte über Wurzeln und trat in eisüberzogene Pfützen. Der Schnee, der sich den ganzen Tag schon angekündigt hatte, begann herabzurieseln, zunächst nur ganz fein, wie weißer Staub. Der Franke spürte, wie sein Gesicht und seine Füße in der Kälte taub wurden.
    Auch er verabscheute dieses Land – das üble Wetter, die mürrische Hoffnungslosigkeit seiner Bewohner, die großtuerische Prahlerei seiner Eroberer. Er schlang sich einen Zipfel seines Umhangs um den Kopf und zog sich schlafwandlerisch in einen Traum zurück. Er ging durch Obstgärten, einen Weinberg, einen Kräutergarten, in dem Bienen summten. Er betrat ein Herrenhaus, überquerte einen gefliesten Boden und ging in ein Zimmer, in dem Rebenholz im Herdfeuer glühte. Seine Frau stand lächelnd von ihrer Nadelarbeit auf. Seine Kinder sprangen auf ihn zu und schrien vor Freude über seine wundersame Rückkehr.

II
    I hre Wege hatten sich im Herbst zuvor auf dem San-Bernardino-Pass in den Alpen gekreuzt. Der Franke, der unter dem Namen Vallon reiste, war zu Fuß unterwegs, nachdem er sein Pferd und seine Rüstung in Lyon verkauft hatte. Bald nachdem er seinen Weg nach Italien hinunter angetreten hatte, war er an einer Gruppe Pilger und Wanderhändler vorbeigekommen, die sich angsterfüllt nach den Unwetterwolken umsahen, die sich am südlichen Himmel über ihnen zusammenballten. Durch eine Wolkenlücke fiel ein gebündelter Sonnenstrahl auf die Sommerweide eines Hirten weiter unten vor einer Talschlucht. Bis dorthin würde er an diesem Abend noch gehen, nahm er sich vor.
     
    Er hatte weniger als die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als sich die Wolken endgültig vor die Sonne schoben. Schlagartig wurde es kälter. Ein Wind, der als fernes Seufzen angehoben hatte, peitschte ihm nun Hagel ins Gesicht. Das Kinn auf die Brust gedrückt kämpfte er gegen den Sturm. Der Hagel wurde zu Schnee, der Tag wurde zur Nacht. Er kam vom Weg ab, stolperte über Felsgestein und quälte sich durch Schneeverwehungen.
    Schließlich erreichte er flacheres Gelände, und ein Hauch Feuerrauch zog an ihm vorbei. Also musste er auf der windabwärts gelegenen Seite der Sommerweide sein und die Talschlucht zu seiner Linken haben. Er bewegte sich vorsichtig weiter, ertastete mit dem Schwert, was vor ihm lag, bis eine dunkle, massige Erhebung
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