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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York
Autoren: Lyndsay Faye
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geriffelten Glaskrug vom Regal. »Hopstill hat gerade bewiesen, dass New York im Großen und Ganzen so viel Barmherzigkeit besitzt wie ein Sargverkäufer in einer von der Pest heimgesuchten Stadt.«
    »Rum«, lautete Hopstills säuerlicher Kommentar. »Ich hätte weder Sie noch den Reverend für Rumtrinker gehalten.«
    Mercy strich sich eine Locke ihres schwarzen, seidig glänzenden und ständig ausbüchsenden Haares zurück und überdachte diese Bemerkung. Ihre Unterlippe ruht genau hinter ihrer Oberlippe, und wenn sie über etwas nachdenkt, saugt sie die untere ein. Genau das tat sie jetzt.
    »Wussten Sie, Mr. Wilde«, fragte sie, »dass Elixir proprietatis die einzige Medizin ist, die sofortige Erleichterung verschafft, wenn jemand an Durchfall leidet? Dazu zerstoße ich Safran mit Myrrhe und Aloe und lasse dann das Gebräu, vermischt mit Neuengland-Rum, vierzehn Tage lang in der heißen Sonne stehen.«
    Mercy reichte mir einige Zehn-Cent-Stücke. Es war immer beruhigend, all diese kleinen Metallscheiben klimpern zu hören. Während der Panik von 1837 waren Münzen vollkommen verschwunden gewesen, ersetzt durch Essensgutscheine für Restaurantsund Kaffeetickets. Ein Mann konnte zehn Stunden lang Granit klopfen, und dann wurde er in Milch und in Muscheln von Jamaica Beach bezahlt.
    »Das wird dich lehren, einer Underhill unverschämte Fragen zu stellen, Hops«, lautete mein Kommentar über die Schulter.
    »Hat Mr. Hopstill denn eine Frage gestellt, Mr. Wilde?«, fragte Mercy nachdenklich.
    So macht sie das, und jedes Mal verschlägt es mir dabei die Sprache. Zwei Wimpernschläge, ein Blick wie ein verirrtes Lamm, eine ganz beiläufige Bemerkung, und schwupps, schon bist du an den Zehen aufgehängt. Hopstill schnaubte finster, als er begriff, dass ihm sauber die Füße weggezogen worden waren. Und das von einer jungen Frau, die letzten Juni zweiundzwanzig geworden war. Ich weiß nicht, wo sie solche Sachen herhat.
    »Ich trag Ihnen das bis zu Ihrer Ecke«, erbot ich mich und kam mit Mercys Rum hinter dem Tresen hervor.
    Dabei dachte ich die ganze Zeit: Wirst du es wirklich tun? Ich war nun schon seit über zehn Jahren mit Mercy befreundet. Und genau so könnte es doch auch bleiben. Du trägst ihre Einkäufe für sie, betrachtest die Locken in ihrem Nacken und findest heraus, was sie liest, damit du es auch lesen kannst.
    »Was, Sie wollen Ihre Bar verlassen?«, fragte sie mit einem Lächeln.
    »Mich hat die Abenteuerlust gepackt.«
    Es war warm in der New Street, der Glanz schimmernder Kastorhüte über einem Meer von marineblauen Gehröcken tat fast in den Augen weh. Die Straße bestand nur aus zwei Häuserblöcken und endete im Norden an der Wall Street, lauter gewaltige Steinfassaden mit Markisen davor, welche die Fußgänger vor der sengenden Sonnenglut schützten. Reiner Kommerz. Von jedem Vordach hing ein Schild, und an jeder Wand klebte ein Plakat: BUNTE HALSTÜCHER , ZEHN STÜCK FÜR EINEN DOLLAR . WHITTING ’S HANDSEIFE , DER SICHERE SCHUTZ VOR RINGELFLECHTE . Die dichtbevölkerten Straßen auf unserer Insel waren ausnahmslos alle mit grellbunten Plakaten tapeziert,und unter der frisch aufgeklebten Werbung waren noch Reste der alten Schlagzeilen vom letzten Jahr sichtbar. Ich erkannte das feixende Gesicht meines Bruders Val, auf einen Holzschnitt übertragen, gedruckt und an eine Tür geheftet, und musste eine Grimasse unterdrücken, als ich las: VALENTINE WILDE UNTERSTÜTZT DIE GRÜNDUNG DER NEUEN POLIZEITRUPPE VON NEW YORK CITY .
    Ach nein. In dem Fall würde ich ganz gewiss dagegen sein. Zwar war das Verbrechen auf dem Vormarsch, man musste stets darauf gefasst sein, bestohlen zu werden, Überfälle waren an der Tagesordnung, Morde blieben oft ungeklärt. Doch wenn Val die heftig umstrittene neue Polizei befürwortete, würde ich mich lieber der Anarchie anvertrauen. Bis zum Vorjahr hatten wir, abgesehen von einer jüngst gegründeten Gruppe glückloser Männer, die sich Harper’s Police nannten und blaue Mäntel trugen, um weithin sichtbar anzuzeigen, dass hier jemand nur darauf wartete, von jedem x-beliebigen Kerl mit Mumm in den Knochen zusammengeschlagen zu werden, keine Ordnungshüter in dieser Stadt. Sicher, es gab Nachtwächter in New York. Klapprige, traurige Gestalten, die dringend ein paar Kröten brauchten, den ganzen Tag schufteten und dann nachts im Wächterhäuschen stehend schliefen und vom großen Volk der Gesetzlosen scharf bewacht wurden. Wir hatten über vierhunderttausend Seelen,
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