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Der Teufel mit den blonden Haaren

Der Teufel mit den blonden Haaren

Titel: Der Teufel mit den blonden Haaren
Autoren: Alexander Borell
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Kopf, als hätte er nicht recht verstanden.
    „Du bist — froh? Ingrid, wie meinst du das, ich verstehe dich nicht. Wenn du es willst, bin ich damit einverstanden, daß du dich von mir scheiden läßt. Begreifst du nicht, ich habe dich betrogen, ich habe einen Ehebruch begangen!“
    Als er das kleine Lächeln auf ihrem Gesicht entdeckte, wurde er noch verwirrter. „Ingrid, verstehst du denn nicht, ich habe mit diesem Mädchen...“
    Sie hatte sich rasch aufgerichtet und ihm ihre Hand auf den Mund gelegt.
    „Nun laß mich dazu auch einmal etwas sagen, Harald. Wir sind dreiundzwanzig Jahre miteinander verheiratet. Glaubst du wirklich, daß die paar Stunden mit diesem Mädchen diese dreiundzwanzig Jahre einfach ausradieren können? Ehebruch hast du gesagt? Meinst du denn wirklich, daß eine Ehe an einer einzigen Nacht mit irgendeinem Mädchen zerbrechen kann, wenn sie vorher in Ordnung war? Du hast mich betrogen, sagtest du: glaubst du etwa allen Ernstes, daß du mich mit dieser einen kopflosen Nacht betrügen könntest? Ich würde mich sehr schämen, Harald, wenn ich auch nur eine Sekunde vor diesem Mädchen Angst gehabt hätte, denn dann würde ich mich doch entsetzlich tief eingeschätzt haben, meinst du nicht? Außerdem ist es auch meine Schuld, daß es so weit gekommen ist.“
    Er schaute sie an und wußte nicht, wie ihm geschah. Er hatte bittere Vorwürfe erwartet, Tränen vielleicht, eine Szene, und nun sagte sie, daß sie ihn verstehe? In einem Ton, als plaudere sie über eine ganz nebensächliche Sache, fuhr Ingrid fort:
    „Ich habe mich selbst zu einem Hausmütterchen gemacht, ich selbst ließ mich vom ersten Tage an von dir verwöhnen, ich fühlte mich wie ein behütetes Kind, das über nichts nachdenkt und nur nimmt, was man ihm gibt. Ich habe in all diesen Jahren niemals versucht, mir etwas zu nehmen: das Recht, mit dir zu leben und nicht neben dir. Ich habe das Haus in Ordnung gehalten und in meinen Gedanken war es immer dein Haus — nicht unser Haus. Ich habe die Kinder großgezogen, wie du es wolltest, und ich habe es nie gewagt, anderer Meinung zu sein, selbst wenn ich anderer Meinung war. Ein Echo aber, Harald, ist noch lange keine Musik. Das habe ich nun erkannt, und du kannst dich darauf verlassen: in unserem künftigen Konzert werde ich kräftig mitspielen.“ Sie fuhr ihm mit ihren gepflegten Fingern durchs Haar. „Auch wenn es dir hin und wieder gar nicht paßt, mein Lieber.“
    „Du... du willst also bei mir bleiben?“
    Sie zog ihn zu sich herab.
    „Und ob!“ sagte sie. „Und jetzt habe ich eigentlich zum ersten Male das Gefühl, mit einem wirklichen Mann verheiratet zu sein.“
    „So? Und was war ich bisher für dich?“
    „Eine Art von lieber Gott, irgendwo hoch über mir. Ein völlig unantastbarer Mensch ohne Schwächen, ohne Leidenschaften und vor allem: ohne Fehler. Ich habe dich angebetet — jetzt liebe ich dich. Ich habe jedes Wort von dir wie eine Offenbarung hingenommen, jetzt wirst du dich damit abfinden müssen, daß ich alles prüfe, was du sagst. Oh, Harald — ich liebe dich!“
    Er spürte an seiner Wange ihr Herz klopfen, und es schien ihm, als klopfe dieses Herz nur für ihn. Der bittere Salzgeschmack seiner Tränen brachte ihm ein neues, bisher noch nie erlebtes Gefühl, über das er mit ihr sprechen mußte.
    „Es liegt an diesem Beruf“, sagte er. „Man sitzt über einen Menschen zu Gericht, man teilt die Menschheit in Schuldige und Unschuldige — das Leben besteht aus Paragraphen und nicht mehr aus Fleisch und Blut. Man muß den Angeklagten frei — oder schuldig sprechen nach den Paragraphen. Man entscheidet jeden Tag über Schicksale, aber man sieht nicht die Schicksale, man sieht nur die Paragraphen. Und man irrt sich nicht — niemals irrt sich ein Richter, das liegt so verankert, und am Schluß glaubt man selbst daran. Man wird unfehlbar, man wird ein Übermensch und niemand lehnt sich dagegen auf. Ein Mann — ein Mädchen — ein Hotelzimmer — Ehebruch — Urteil: schuldig! Und niemand steht auf und sagt: halt, das ist falsch, es gibt Dinge zwischen den Geschlechtern, die weder Schuld noch Unschuld sind.“
    „Doch“ sagte Ingrid leise, „doch, das gibt es: Die Menschen selbst, die Betroffenen können das sagen. Und du mußt dich jetzt schon damit abfinden: ich sage unschuldig.“
    „Aber...“
    „Kein aber, Liebster! Ich bin jetzt so glücklich, wie ich es wahrscheinlich noch niemals war. Du wirst künftig auch ein anderer Richter sein, nicht
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