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Der Tempel

Der Tempel

Titel: Der Tempel
Autoren: Matthew Reilly
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hier.«
    Race nahm ihm den Stapel ab und wendete des Titelblatt um.
    Natürlich hatte er schon mittelalterliche Manuskripte zu Gesicht bekommen – Manuskripte, die im Mittelalter von hingebungsvollen Mönchen sorgfältig von Hand reproduziert worden waren, damals in den Tagen vor der Druckerpresse. Charakteristisch für solche Manuskripte war die fast unglaubliche Kompliziertheit von Ausführung und Kalligraphie: perfekte Kalligraphie – inklusive wunderbar gestalteten Initialen (der Buchstabe, mit dem ein neues Kapitel anfängt) – sowie detaillierte Piktogramme an den Seite nr ändern. Diese Piktogramme sollten die Stimmung des Werks wiedergeben: strahlend und heiter bei angenehmen Büchern, dunkel und erschreckend für eher Düsteres. Der Detailreichtum war so gewaltig, dass es hieß, ein Mönch könne sein ganzes Leben mit der Reproduktion eines einzigen Manuskripts verbringen.
    Doch etwas Ähnliches wie das Manuskript, das Race jetzt betrachtete, hatte er, obwohl es eine schwarzweiße Fotokopie war, noch nie gesehen.
    Es war prachtvoll.
    Er blätterte mit dem Daumen durch die Seiten.
    Die Handschrift war erlesen, präzise, ausgeklügelt, und die gezeichneten Piktogramme stellten knorrige, gewundene Ranken dar. Seltsame Steinstrukturen, bedeckt von Moos und Schatten, besetzten die unteren Ecken einer jeden Seite. Der Gesamteindruck war der von Düsternis und dunklen Vorzeichen, von brütender Bösartigkeit.
    Race blätterte zum Titel zurück. Er lautete:

    Narratio verus priesto in ruris incariis:
    operis Alberto Luis Santiago
    anno Domini MDLXV

    Race übersetzte im Stillen: »Der wahre Bericht eines Mönchs im Lande der Inka: Ein Werk von Alberto Luis Santiago. Im Jahr des Herrn 1565«.
    Er wandte sich an Nash. »Na schön. Ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie mir sagen, worum es bei Ihrer Mission eigentlich geht.«

    Nash erklärte es.
    Bruder Alberto Santiago war als junger Franziskaner 1532 an der Seite der Konquistadoren als Missionar nach Peru gesandt worden. Während die Eroberer dort raubten und plünderten, erwartete man von Mönchen wie Santiago, die eingeborenen Inka zum Glauben der heiligen römischen katholischen Kirche zu bekehren.
    » Obwohl das Santiago-Manuskript 1565 geschrieben wurde, also eine gute Zeit nach Santiagos Rückkehr nach Europa«, erklärte Nash, »soll es einen Vorfall wiedergeben, der sich um 1535 herum ereignet hat, während der Eroberung Perus durch Francisco Pizarro und dessen Konquistadoren. Den mittelalterlichen Mönchen zufolge, die behaupten, das Manuskript gelesen zu haben, erzählt es eine sehr, sehr erstaunliche Geschichte. Sie handelt von Hernando Pizarros besessener Verfolgung eines Inkaprinzen , der während des Höhepunkts der Belagerung Cuscos das am meisten verehrte Götzenbild der Inka aus der umzingelten Stadt gestohlen hat und damit in die Dschungel des östlichen Perus geflohen ist.«
    Nash drehte sich in seinem Sitz herum. »Walter«, sagte er und nickte dem bebrillten, kahl werdenden Mann zu, der auf der anderen Seite des Mittelgangs saß, »würden Sie mir bitte helfen? Ich erzähle Professor Race gerade von dem Götzenbild.«
    Walter Chambers erhob sich und ließ sich Race gegenüber nieder. Er war unscheinbar, klein und zu drei Vierteln kahl, ein Büchermensch, der zu den Männern gehörte, die zur Arbeit vermutlich eine Fliege trugen.
    »William Race, Walter Chambers«, stellte Nash vor. »Walter ist Anthropologe aus Stanford. Ein Experte für die Kulturen Zentral- und Südamerikas – Maya, Azteken, Olmeken und insbesondere Inka.«
    Chambers lächelte. »Sie möchten also etwas über das Götzenbild erfahren?«
    »Sieht so aus«, erwiderte Race.
    »Die Inka nannten es ›Geist des Volkes‹«, erläuterte Chambers. »Es war ein steinernes Götzenbild, aber eines, das aus einem sehr merkwürdigen Stein geschnitzt worden war, einem schimmernden schwarzen Stein, durch den sehr feine Adern aus Purpur verliefen.
    Es war der kostbarste Besitz des Inkavolkes. Sie betrachteten es als ihr ureigenstes Herz und ihre ureigenste Seele. Und das meine ich wörtlich. Sie sahen im ›Geist des Volkes‹ mehr als bloß ein Symbol ihrer Macht. Für sie war es die wirkliche Quelle ihrer Macht. Und in der Tat gingen Geschichten über seine magischen Kräfte um – es konnte das Bösartigste aller Tiere besänftigen. Auch sollte das Götzenbild, wenn es ins Wasser getaucht wurde, singen.«
    » Singen?«, wiederholte Race.
    »Genau«, meinte Chambers. »Singen.«
    »
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