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Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem
Autoren: Christian Jacq
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waren. Wie konnte er diesen Fehler sühnen, der ihn verfolgte, wenn er
nicht immer weiter baute und baute?
    Der Vorhof
lag verlassen. Die Priester ruhten. Die schmale Sichel des Neumonds spendete
nur wenig Licht. Der Oberbaumeister dachte an die Baustelle, die
Zeichenwerkstatt, die richtigen Handbewegungen im richtigen Augenblick, die
Begeisterung der Handwerker, das Feuer, das Hände und Herzen beseelt hatte, an
die Gemeinschaft, die Müdigkeit und Enttäuschungen vergessen ließ. Vielleicht
waren ihm ja diese Stunden der Bangigkeit und Erwartung lieber als das fertige
Werk, die Lust am Unbekannten lieber als die erdichteten Mauern und fertigen
Säle. Doch was ihm lieber war, zählte nicht. Seine Rolle bestand darin, die
Arbeit ihrem Ende zuzuführen, ohne daß er die Früchte seiner Bemühungen
erntete.
    Hiram
bemerkte gen Westen, am Berghang des Tiropeon-Tals, ein Licht. Jemand hatte
gerade überstürzt eine Fackel gelöscht. Neugierig geworden ging der Baumeister
zu der Stelle, wo er die Flamme gesehen hatte.
    Ein Mann
stand im Dunkel.
    «Wer bist
du?»
    «Ein Geselle
der Bruderschaft.»
    Hiram, der
das Dunkel gewöhnt war, erkannte den hebräischen Schmied. Sein weißes Haar
leuchtete in der Nacht.
    «Was tust du
hier?»
    «Ich möchte
dich sprechen.»
    «Wende dich
an den Meister, der mit deiner Unterweisung beauftragt ist.»
    «Ich brauche
seine Unterweisung nicht mehr. Ich bin würdig, in die großen Geheimnisse
eingeweiht zu werden. Gib mir das Kennwort der Meister und verleihe mir ihre
Macht.»
    «Hast du den
Verstand verloren? Nie im Leben gebe ich einer solchen Forderung nach.»
    «Auch nicht
auf Kosten deines eigenen?»
    Der Schmied
schwang einen Hammer. Der Baumeister wich nicht zurück.
    «Gib mir das
Werkzeug», forderte Hiram. «Geh zurück ans Jordanufer, mache dich wieder an die
Arbeit, und ich vergesse diese Narretei.»
    Der Hebräer
hatte zwar kein flinkes Mundwerk, ließ aber dennoch seinem Haß freien Lauf.
    «Das
Erkennungswort.»
    Hiram
streckte die Hand aus. Der Geselle hieb nach seinem Kopf. Das Blut spritzte.
Blind wandte sich Hiram nach Norden und stieß dort auf den syrischen Maurer.
    «Auch ich bin Geselle. Gib
uns das Erkennungswort.»
    «Niemals!»
rief Hiram. «Welche Dämonen sind nur in euch gefahren…»
    «Schnell,
Meister Hiram, meine Geduld ist zu Ende.»
    Der
Oberbaumeister wollte fort, doch sein Angreifer, der Bärtige und
Schmerbäuchige, stieß ihm einen Stechbeitel in die linke Seite.
    Schmied und
Maurer staunten über ihren eigenen Mut und machten vereint weiter, wagten
jedoch nicht, ihr Opfer zu verfolgen. Hiram gelang es, sich trotz seiner Wunden
in Richtung Osten zu flüchten. Doch da kam der phönizische Tischler aus dem
Dunkel und vertrat ihm den Weg.
    «Beharre
nicht länger. Gib uns das Erkennungswort und schwöre, daß du nichts gegen uns
unternimmst.»
    Drohend
umklammerte der kleine Mann mit dem schmalen, schwarzen Schnurrbart einen
schweren Eisenzirkel.
    «Geh weg»,
befahl Hiram mit schwacher Stimme.
    «Genug
Widerworte!» brauste der Phönizier auf. «Das Kennwort!»
    «Lieber den
Tod.»
    «Wie du
willst.»
    Wutentbrannt
stieß der Tischler dem Oberbaumeister die Spitze des Zirkels ins Herz.
    «Warum, Salomo,
warum?» flüsterte Hiram, ehe er rücklings zusammenbrach.
    Sein Leichnam
bedeckte drei Platten des Vorhofes. Die Mörder betrachteten ihn lange, und
jeder schob den beiden anderen die Schuld an diesem Verbrechen zu.
    «Hier können
wir ihn nicht liegenlassen.»
    Sie zogen
ihre Lederschürzen aus, banden sie zusammen und stellten so ein Leichentuch
her, in das sie den Leib des Baumeisters hüllten.
    «Ist der aber
schwer», beklagte sich der Phönizier.
    «Laßt uns den
Pfad nehmen. Aber schnell, ehe uns jemand überrascht.»
     
     
    Balkis hatte die Stunde ihres
Aufbruchs vorverlegt. Als sie den Goldspiegel befragt hatte, in dem sich die
Strahlen der großen Göttin von Saba verbargen, hatte sie die Stimme des Orakels
gehört, das ihr einschärfte, Israel noch mitten in der Nacht zu verlassen.
    Ein Gewitter
brach los, als der weiße Elefant der Königin das Zeltlager verließ. Balkis
gelang es, das Tier zu beruhigen, das von einer Abfolge von Blitzen und einem
Platzregen erschreckt worden war. Dann zog der Dickhäuter trotz des heftigen Windes
ruhig und rhythmisch an der Spitze einer Karawane von Sabäern dahin, und die
Königin verspürte Erleichterung. Endlich entkam sie Salomos Einfluß. Am Ende
dieser langen Reise würde sie das höchste Flachdach
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