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Der Tag an dem ich erwachte

Der Tag an dem ich erwachte

Titel: Der Tag an dem ich erwachte
Autoren: Emilia Miller
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sich zu zwei wütenden Fäusten bildeten. Am liebsten wäre ich von meinem Bett aufgesprungen und diesem unverschämten Stück Scheiße mit der Faust in sein hässliches Gesicht geschlagen! Ich beglückwünschte mich im Stillen zu dieser starken Gefühlsregung, die mir zeigte, dass ich definitiv noch einen freien Willen und ein Urteilsvermögen besaß.
    „Sehen Sie sich ihre Hände an!“, verlangte der Polizist, woraufhin ich sofort meine Fäuste lockerte.
    „Ich sehe sie, Officer“, lachte der Arzt ironisch, „wow, unglaublich! Ihre Fingernägel sind tatsächlich schön gefeilt und leuchtend rot lackiert. Wenn das kein Indiz für ihre Schuld ist, dann weiß ich auch nicht!“
    „Gut, Herr Doktor“, krähte der Polizist verzweifelt. „Sie wollen einfach nicht kooperieren. Ist Ihnen eigentlich klar, aus welchem Grund ich mich für Sie als psychologischen Gutachter entschieden habe?“
    „Durchaus, Officer“, antwortete mein Wohltäter, „wegen meiner guten Quote, nicht wahr?“
    „Ja, verdammt noch mal!“, schrie der Officer ihn an, „wegen Ihrer verdamm t guten Quote! Wieso pissen Sie mir dann plötzlich ans Bein?“
    „Ich weiß nicht“, schmunzelte er amüsiert. „Weil ich mal muss?“
    „Sie blöder Mistkerl! Es reicht mir langsam! Ich hätte nicht schlecht Lust, Sie wegen Behinderung der Justiz festzunehmen!“
    „Ich weiß, mein Freund“, lachte der Arzt. „Doch Sie können mich genauso wenig festnehmen wie diese bedauernswerte Frau, der Sie keinerlei Schuld nachweisen können. Ich würde sagen, wir verabschieden uns jetzt im Frieden, damit jeder von uns in aller Ruhe seinen Verpflichtungen nachgeht und tragen uns nichts nach. Einverstanden?“
    „Unterstehen Sie sich, mich als Ihren Freund zu bezeichnen!“ fauchte der Polizist ihn an. „Und nehmen Sie das hier, bitteschön!“ Ich sah aus dem Blickwinkel, wie er meinem Wohltäter einen dicken Umschlag in die Hand drückte. „Bevor Sie weiterhin Ihr akademisches, niveauvolles, ach so fortschrittliches und ach so moralisches Zuckermäulchen aufreißen, sehen Sie sich diese Bilder doch noch mal ganz genau an!“
    Ich danke Ihnen, mein Freund“, antwortete der Arzt liebenswürdig, wobei er absichtlich jede einzelne Silbe betonte.
    „Ach ja…“ Dem Polizisten schien noch etwas Wichtiges eingefallen zu sein. „Was ist mit den Spuren eines sexuellen Missbrauchs? Konnten nun welche festgestellt werden?“ Seine Stimme klang fast so erwartungsvoll wie die eines Kindes auf dem Jahrmarkt, das seine Mutter um eine Portion Zuckerwatte anflehte.
    „Da muss ich Sie leider enttäuschen, Officer!“ Ich hörte ein leises, deftiges Fluchen, wobei der Polizist die Mutter des netten Arztes als eine Frau bezeichnete, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachging. „Egal, wie ausfällig Sie werden, Verehrtester“, gab der Arzt ruhig zurück, „ändert es nichts an der Tatsache, dass eine eingehende gynäkologische Untersuchung bei dieser Patientin nicht möglich war.“
    „Wie bitte? Ich hoffe, ich habe mich gerade verhört!“ Es folgte eine weitere Reihe Flüche. Was für ein Neandertaler, dachte ich und fragte mich, wie lange es dauern würde, bis auch der Arzt endlich ausflippte. Doch er war die Ruhe in Person.
    „Sie ließ es einfach nicht zu“, erklärte er sachlich, fast teilnahmslos, was den Polizisten endgültig zur Weißglut brachte.
    „Wollen Sie mich verarschen?“, brüllte er. „Sie war doch die ganze Zeit bewusstlos!“
    „Ja, das war sie, dennoch reagierte ihr Körper so heftig, dass wir die Untersuchung einstellen mussten. Ihr Puls stieg ins Unermessliche, sodass sie plötzlich Atemnot bekam und an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden musste. Angesichts ihres allgemeinen kritischen Zustandes konnten wir uns ein weiteres Risiko einfach nicht erlauben. Wenngleich keine eindeutigen äußeren Spuren einer Vergewaltigung festgestellt werden konnten, liegt bei dieser heftigen Abwehrreaktion die Vermutung nahe, dass die Patientin wenigstens einmal in der Vergangenheit Opfer eines sexuellen Übergriffs gewesen sein musste.“
    „Immerhin“, knurrte der Neandertaler zufrieden, „da haben wir schon mal ein Tatmotiv.“
    „Wie ich eben gesagt habe, Officer“, stellte der Arzt kühl fest, „ist es lediglich eine Vermutung.“
    Der Polizist erklärte dem Arzt laut und unmissverständlich in seiner gewohnt derben Art, was er von seiner fachlichen Kompetenz hielt und knallte die Tür hinter sich zu. Bei dem Krach zuckte ich
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