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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst
Autoren: Lisa Gardner
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zum Schein ein.
    Meine Tante fuhr nicht einfach wieder davon. Sie war von der heruntergekommenen Wohnung ihrer Schwester geradewegs zur Polizei gegangen. Es hatte offenbar eine Weile gedauert, bis sich ein Vieraugengespräch mit einem Detective einrichten ließ, und dann waren weitere wertvolle Stunden verstrichen, bevor sich das Jugendamt einschaltete und eine Streife auf den Weg geschickt wurde, um Christine Grant zu verhaften und Abigail in Obhut zu nehmen.
    Meine Mutter aber hatte geahnt, dass sie ihr die Polizei auf den Hals schicken würde. Während meine Tante die Kavallerie zusammentrommelte, hatte sie ihre Sachen gepackt und mit Abigail das Weite gesucht.
    Von der Rückkehr der Tante und dem Polizeieinsatz hatte Abigail nichts mehr mitbekommen. Sie war der Mutter in eine andere Stadt gefolgt, wieder einmal von allen im Stich gelassen.
    Meine Tante hatte ihr Möglichstes getan und war gescheitert. Während jener dunklen Stunden in meinem Zimmer in Cambridge hatte sie darauf verzichtet, sich meiner Schwester zu erklären, und stattdessen ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, um mir zu helfen.
    Auch nach all den Jahren war sie immer noch bereit gewesen, ihr Leben für meines zu opfern.
    Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass sie ihrer Schwester so unähnlich ist, wie ich es meiner bin.
    Der 21. Januar hatte natürlich noch weitere Konsequenzen. Mit Tom habe ich kein Wort mehr gesprochen. Ein Mann lässt es sich vielleicht noch gefallen, dass man ihm seinen Truck klaut, aber ohnmächtig geschlagen zu werden ist wohl zu viel des Guten. Dafür habe ich durchaus Verständnis. Täuschung und Körperverletzung sind keine gute Grundlage für eine auf Dauer angelegte Beziehung.
    Trotzdem, er fehlt mir, vor allem, wenn ich mich traurig und einsam fühle. Unter anderen Umständen …
    Vielleicht werde ich ihm demnächst einmal eine Nachricht zukommen lassen: Ich bin immer noch angeknackst. Vielleicht sind Sie immer noch interessiert.
    Man kann nie wissen.
    Ich bin nach J-Town zurückgezogen, zurück in die Berge, zu meiner Tante und den Leuten, die mich alle mit Namen kennen. Tulip ist einverstanden damit. Sie genießt ihre neue Rolle als B&B-Hund, heißt unsere Gäste willkommen, macht auf Eichhörnchen Jagd und kommt und geht, wie es ihr gefällt.
    Ich helfe in der Pension aus und schmeiße den Laden an den Wochenenden, solange meine Tante noch nicht wieder voll genesen ist. Wie es sich fügte, brauchte die Polizeileitstelle meiner kleinen Stadt eine neue Telefonistin. Ich arbeite nachts von dienstags bis freitags. Und man lasse sich von einer Kleinstadt nicht täuschen. Erst gestern kaperte jemand einen Golfcaddy, fuhr damit von einem Fairway zum anderen und verteilte auf den Greens Bleichmittel in Zickzackmustern. Der Anrufer, ein neunzigjähriger Zeuge der Irrsinnsfahrt, half, den Täter zu überführen, und zwar anhand zurückgelassener Ananasstücke.
    Ich halte mich immer noch mit Joggen und Boxen fit. Nach langen, schlaflosen Nächten gehe ich bisweilen auch auf den Schießstand und reagiere mich an irgendwelchen Zielscheiben ab.
    Insgesamt aber versuche ich, ein ruhigeres, beschaulicheres Leben zu führen. Ich denke an meine Schwester und ihre dreiunddreißig Tötungsdelikte, mit denen sie ihr Leben keinen Deut sicherer gemacht hat. Ich denke an Stan Miller und daran, wie ich mich in seinem Fall hätte anders verhalten können.
    Nicht nur eine gestörte psychische Disposition ist erblich, sondern auch der Hang zu Gewalt, müssen Sie wissen.
    Ich habe mir fest vorgenommen, meine zweite Chance besser zu nutzen, und tue meinen Job nach Vorschrift, wenn ich ein Kind weinen höre oder wenn eine Frau hysterisch schluchzt und um Hilfe bittet. Ich lasse mich nicht mehr dazu hinreißen, auf eigene Faust zu handeln.
    Mal sehen, wie lange meine guten Vorsätze Bestand haben.
    Noch so eine Frage, die ich nicht beantworten kann.
    Noch nicht.

[zur Inhaltsübersicht]
    45. Kapitel
    Es dauerte mehrere Wochen, und so manche Gefälligkeit musste in Anspruch genommen werden, bis D.D. den Abschlussbericht zu ihrer eigenen Zufriedenheit verfasst hatte. Als sie mit der Arbeit, für die sich niemand mehr interessierte, fertig war, legte sie den Fall zu den Akten und kehrte nach Hause zurück.
    «Du siehst glücklich aus», sagte Alex, als sie zur Tür hereinkam.
    «Weil ich recht behalten habe.»
    «Na bitte, wer sagt’s denn?»
    «Endlich liegt der Bericht der Ballistik vor. Er bestätigt meinen Verdacht: Auch wenn
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