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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst
Autoren: Lisa Gardner
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die Rechte klatschte ihr seitlich ins Gesicht. Immer und immer wieder schlug ich zu. Das harte Trainingsjahr machte sich bezahlt; ich kämpfte um mein Leben.
    Doch meine verrückte Schwester steckte jeden Treffer weg, sie ließ nicht locker und würgte mich mit unverminderter Entschlossenheit.
    «Abigail Grant. Detective O. Aufhören, sofort! Und zeigen Sie mir Ihre Hände!»
    Schieß doch, forderte ich Detective Warren im Stillen auf, schieß doch endlich. Sie aber hielt sich zurück, aus verständlichen Gründen. Abigail und ich waren ineinander verhakt. Sie hielt mich an der Kehle gepackt, und ich stemmte ihr beide Fäuste in den Magen. Zwei verzweifelte Frauen, ein festes Paket.
    Dann, wie aus heiterem Himmel, war plötzlich Tulip da, stürzte sich knurrend auf Abigail, schlug ihr die Zähne ins Fleisch. Meine Schwester schrie und ließ endlich von meinem Hals ab, richtete sich auf und schleuderte Tulip vor die Wand.
    Ein Kläffen, dann Stille.
    Ich wälzte mich herum und versuchte aufzustehen. Aber weil mir das nicht gelang, robbte ich irgendwie in Sicherheit und schnappte nach Luft.
    «Abigail Grant. Hände hoch. Ich warne Sie zum letzten Mal. Geben Sie auf, oder ich schieße.»
    Irgendwann muss jeder sterben. Sei tapfer.
    Meine Schwester wandte sich der Polizistin zu. Sie hielt plötzlich etwas in der Hand. Ein Messer. Das aus der provisorischen Scheide an meinem Fußgelenk. Es musste mir, als wir miteinander kämpften, herausgerutscht sein.
    Sie richtete den Blick auf meine entblößte Seite. Ich regte mich nicht und erwartete ihren Angriff. Blut und Feuer. Vielleicht warteten wir beide darauf. Eine offene Rechnung nach zwanzig Jahren endlich begleichen zu können.
    Statt meine Hände zur Deckung vors Gesicht zu heben, starrte ich meine kleine Schwester an und zwang sie, mir in die Augen zu blicken. «Leg das Messer weg, Abby. Du bist Polizistin, denk daran. Schnappt mich. Das hast du aus gutem Grund auf die Nachrichten geschrieben.»
    «Mutter hatte recht», flüsterte Abigail, mehr zu sich selbst als an meine Adresse gerichtet. «Die Monster lauern überall. Sie kommen aus dem Dunkeln gekrochen, um kleinen Kindern weh zu tun. Im Internet oder auf der Straße. Ich sehe sie an allen Ecken. Ich habe sie mit meiner Dienstmarke aufzuhalten versucht, mit meiner Waffe. Aber es nützt nichts. Die Monster. Unsere Mutter. Sie sind in meinem Kopf.»
    «Lassen Sie die Waffe fallen, Kollegin. Ich helfe Ihnen. Auch Ihre Schwester wird Ihnen helfen. Wir biegen die Sache wieder hin.»
    Meine Schwester warf einen Blick auf D.D. und nahm dann wieder mich ins Visier.
    Zwanzig Jahre hatte sie auf diesen Moment hin gelebt.
    Meine Schwester hob das Messer.
    «Ich will niemanden mehr verletzen, Charlie. Ich will nur noch Ruhe und Frieden.»
    Ich schrie. Detective Warren sprang über den Teetisch auf Abigail zu.
    Doch schon hatte sich meine Schwester die Klinge in den Bauch gestoßen. Auf ihrem bleichen Gesicht machte sich Verwunderung breit. Sie wankte, knickte in den Knien ein und fiel zu Boden.
    Detective D.D. verlangte mit lauter, deutlicher Stimme nach einem Notarzt. Offenbar ihr Telefon. Ich hörte nicht mehr hin. Mir war plötzlich alles egal.
    Ich lag mit meiner kleinen Schwester am Boden und ertastete im Dunkeln ihre Hand.
    «SisSis?», hauchte sie mir zu.
    «Ich liebe dich, Abby.»
    Sie gab einen scheußlichen, gurgelnden Laut voller Schmerzen von sich.
    «Irgendwann muss jeder sterben» , flüsterte ich in diesem letzten Moment, der uns verblieb. Sie umklammerte meine Hand. Ich drückte sie an mich. « Sei tapfer , Abby. Ich liebe dich. Sei tapfer. »

[zur Inhaltsübersicht]
    44. Kapitel
    Ich ließ meine Schwester neben unseren Geschwistern Baby Rosalind und Baby Carter begraben. Einen großen Grabstein haben sie nicht, nur zwei flache Granitplatten. Mehr konnte sich meine Tante damals nicht leisten, als sie vor zwanzig Jahren die beiden zu Grabe trug, und ich kann leider auch nicht mehr für meine Schwester ausgeben. Aber sie liegen jetzt beieinander, ein trauriges Trio, zusammen mit ihren Großeltern auf dem zweihundert Jahre alten Friedhof von J-Town. Zwei Gräber sind noch leer. Eins für meine Tante und eins, wenn die Zeit kommt, für mich.
    Detective Warren fand auf dem Computer meiner Schwester einen von ihr eingerichteten Blog mit der Überschrift «Hallo, mein Name ist Abigail». Er bestand aus gespenstischen Einträgen, in denen sie die Morde an meinen besten Freundinnen im Detail beschrieben hatte, so auch
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