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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst
Autoren: Lisa Gardner
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ihre zahllosen Stunden im Internet auf der Jagd nach Sexualstraftätern und nach Kindern, die Hilfe brauchten.
    Ich glaube ihr, dass sie sich ständig und überall von Monstern belauert sah. Sie fühlte sich von ihnen überwältigt wie von einer dunklen Welle, gegen die sie nichts ausrichten konnte, am wenigsten dadurch, dass sie anderen auflauerte und sie tötete. Wie sich herausstellte, hatte sie in Boston, New York und Los Angeles dreiunddreißig mutmaßliche Päderasten zur Strecke gebracht, die letzten drei in kurzer Folge, weil der 21. Januar näher kam und sie zwang, ihren Feldzug auf Boston und Umgebung zu beschränken. Vorher war sie vorsichtiger zu Werke gegangen. Als Polizistin wusste sie ihre Spuren gründlich zu verwischen.
    Meine Freundinnen Randi und Jackie hatten ihren Tod nicht kommen sehen. Randi hatte der Polizistin die Tür geöffnet und sich mit ihr bei einer Tasse Tee über ihren Exmann unterhalten, ehe die heimliche Insulingabe zu wirken anfing und sie das Bewusstsein verlor. Jackie lernte in einer Bar eine wunderschöne Frau kennen. Eine andere Geschichte mit ähnlichem Ausgang.
    Wahrscheinlich hatten beide am Ende gar nicht mehr an mich gedacht, erst recht nicht daran, dass ihre alte Freundschaft zu mir ihr Todesurteil war.
    Sollte ich mich darum besser oder schlechter fühlen?
    Auch diese Frage werde ich nie beantworten können.
    Die nicht identifizierten Leichenreste wurden mittels DNA-Analyse zweifelsfrei meiner Mutter zugeordnet. Auf eine Umbettung habe ich verzichtet. Christine Grant kann mir gestohlen bleiben. Jedenfalls kommt sie nicht neben Abigail, Rosalind und Carter zu liegen. Mag sein, dass meine Entscheidung ein bisschen herzlos ist. Zugegeben, sie war krank und hatte vielleicht auch ein wenig Mitleid verdient.
    Aber darüber denke ich nicht länger nach. Die Polizei hat ihren Fall zu den Akten gelegt, und ich werde sie nicht wieder öffnen.
    Detective Warren fand auch meine 22er Taurus. Sie lag auf dem Nachttisch meiner Schwester. Weil die Waffe ordnungsgemäß auf meinen Namen registriert ist, gab sie sie mir zurück. Vermutlich sah sie keinen Anlass für eine ballistische Untersuchung, die ergeben hätte, dass die in der Wohnung von Stan Miller sichergestellten Geschosse aus ihr abgefeuert wurden.
    Sollte ich mich darum besser oder schlechter fühlen?
    Auch diese Frage werde ich nie beantworten können.
    Meine Hauswirtin Frances verbrachte zwei Wochen im Krankenhaus, um sich von der Schusswunde in der Schulter zu erholen. Interessanterweise tauchte zu dieser Zeit ihre seit Jahren verschollene Nichte auf, die sich nach einer kurzen Auseinandersetzung mit ihrer Tante bereit erklärte, in ihr Haus einzuziehen und sie zu pflegen. Frances ist, wie ich erfuhr, seit dem Tod ihres Mannes und ihres vierjährigen Sohnes, die vor dreißig Jahren bei einem Autounfall ums Leben kamen, alkoholabhängig. Sie hatte daraufhin alle familiären Brücken abgebrochen und erhebliche Kollateralschäden verursacht. In unseren Gesprächen war nie davon die Rede gewesen.
    Aber Todesnähe ist ein unüberhörbarer Weckruf. Frances war schon seit Jahren bereit zu verzeihen und zu vergessen, und das war nun endlich auch ihre Nichte.
    Ich weiß von solchen Dingen, denn während der sechs Wochen, die ich am Krankenbett meiner Tante zubrachte, kam es zu der längst überfälligen Aussprache zwischen uns. Tante Nancy hatte sich zwei Steckschüsse in der Schulter eingefangen. Die erste Woche war sehr kritisch und bot mir Gelegenheit, ihre Hand zu halten und meine Gefühle zu klären.
    Meine Tante hatte meine Schwester geopfert, um mich zu retten. In den ersten Tagen kam ich darüber nicht hinweg. Ich wollte dankbar sein, war aber auch wütend. Wie konnte sie ihre kleine Nichte bei einer Frau zurücklassen, die bereits zwei Kinder getötet und die anderen unausgesetzt misshandelt hatte? Eine solche Entscheidung erschien mir zu herzlos, zu grausam.
    Der Gedanke ließ mich nicht los. Meine Tante ist eine praktische Frau, aber nie gefühlskalt.
    Am fünften Tag ihrer Genesung rief ich an meinem ehemaligen Arbeitsplatz in Arvada an. Die Kollegen vermittelten mich an zwei pensionierte Polizeibeamte in Boulder, und es stellte sich heraus, dass mir meine Tante nicht die ganze Geschichte erzählt hatte. Sie hatte tatsächlich ihre Schwester ausfindig gemacht, war nach Colorado geflogen, um sie zur Rede zu stellen, und erfuhr zu ihrem Schrecken von Abigails Existenz. Auf den Handel mit meiner Mutter ging sie aber nur
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