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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst
Autoren: Lisa Gardner
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tun.»
    «Geh da nicht rein», sagte Neil unvermittelt. «Ich meine, der Geruch und – und so weiter …» Er stockte. Ihr warnender Blick verschloss ihm den Mund.
    «Meine Eltern kommen!», platzte es aus D.D. heraus.
    «Du hast Eltern?»
    Sie verdrehte die Augen. «Florida», murmelte sie. «Sie leben in Florida. Spielen Golf und Bridge, eben das, was ältere Herrschaften so tun. Sie sind gern in Florida. Und ich bin verdammt froh, dass sie da wohnen. Denn dass ich jetzt ein Kind habe, ist kein Grund, alles durcheinanderzubringen.»
    Neil nickte und wartete. Da sie offenbar nichts mehr sagen wollte, beugte er sich ein wenig vor. «Haben deine Eltern Namen?»
    «Patsy und Roy.»
    «Oh. Gratuliere. Können wir uns jetzt dem Mordopfer zuwenden?»
    «Endlich. Was liegt an?»
    «Zwei Kopfschüsse. Tatzeit wahrscheinlich vor drei oder vier Tagen.»
    D.D. zog eine Braue in die Stirn. «Aufgedunsen, voller Luft?», fragte sie.
    «Bei der Kälte?», erwiderte Neil.
    Natürlich. Eine Leiche, die vier Tage lang schwüler Augustwitterung ausgesetzt gewesen wäre, hätte D.D. schon von weitem gerochen. Nun aber stand sie drei Schritte von der Wohnungstür entfernt und nahm nur die dumpfen Untertöne einer ranzigen Note wahr. Mitte Januar war es in Boston zum Glück bitterkalt.
    «Was ist mit der Heizung?», fragte sie und zog die Stirn kraus.
    «Ausgeschaltet.»
    Sie kniff die Brauen zusammen. «Vom Opfer oder vom Täter?»
    Neil zuckte mit den Achseln. Die Frage hatte er sich wohl schon selbst gestellt, wusste aber natürlich keine Antwort darauf. D.D. dachte oft laut nach, was ihre Teamkollegen aus reiner Selbsterhaltung nicht persönlich nahmen.
    «Wen haben wir hier?», wollte sie wissen und meinte damit die anderen Ermittler vor Ort.
    Neil spulte mehrere Namen ab. Da war der dritte Teamkollege namens Phil, ein Familienmensch. Zwei Kollegen von der Spurensicherung, ein Fotograf und jemand von der Rechtsmedizin. Keine besonders große Party, aber das konnte D.D. nur recht sein. Auf engem Raum trat man sich allzu schnell auf die Füße, und selbst die sogenannten Experten hatten in Windeseile ein Chaos angerichtet. D.D. legte Wert auf saubere Arbeit und einen übersichtlichen Tatort. Schließlich trug sie die Verantwortung.
    «Was muss ich sonst noch wissen?», fragte sie Neil.
    «Sag ich nicht», blockte er ab.
    Sie schaute ihn überrascht an. Von Phil, dem anderen Teamkollegen, war sie gewohnt, dass er manchmal auf stur schaltete. Aber nicht von Neil.
    «Wenn ich’s dir sagen würde, und ich irre mich, wärst du sauer», murmelte Neil, ohne sie anzusehen. «Verrate ich’s dir nicht, und du kommst selbst drauf, kannst du stolz auf dich sein – und die Lorbeeren ernten.»
    D.D. schüttelte den Kopf. Wenn er sich nicht so häufig hinter ihr und Phil verstecken würde, wäre Neil ein sehr tüchtiger Detective. Aber es schien, dass er ihnen lieber den Vortritt ließ und sich damit begnügte, dem Pathologen in der Rechtsmedizin über die Schulter zu schauen.
    Sie fragte sich, ob Ben Whitley zur Stelle war. Der Rechtsmediziner und Neil hatten seit etwas über einem Jahr ein Verhältnis miteinander. Nicht bloß eine Affäre, sondern anscheinend etwas Ernstes, weshalb sich D.D. Sorgen darüber machte, was wohl passieren würde, wenn es in die Brüche ginge. Allerdings war sie als ledige vierzigjährige Mutter eines zehn Wochen alten Säuglings nicht gerade geeignet, persönliche Ratschläge zu geben.
    Wie das Leben auch spielte – man konnte nur mitspielen.
    Sie seufzte, zwickte sich in die Nasenwurzel und spürte, wie die Müdigkeit anfing, ihr zu schaffen zu machen. Jack hatte hübsch eingepackt in seiner Babytragetasche gelegen, als sie am Morgen von zu Hause aufgebrochen war. Mit weit geöffneten blauen Augen und seinen dicken roten Wangen. Als sie ihm einen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte, hatte er mit den pummeligen kleinen Fäusten gewinkt.
    Ob ein zehnwöchiger Säugling seine Mommy schon vermisste? Umgekehrt war es durchaus der Fall.
    D.D. seufzte ein letztes Mal, straffte die Schultern und machte sich an die Arbeit.

    Der erste Reiz, dem sie sich aussetzte, war ein überwältigender Ammoniakgestank. Sie prallte davon zurück wie von einer Wand. Die Augen fingen zu tränen an, während sie sich instinktiv Luft zuzufächeln versuchte, was natürlich nichts nutzte.
    Der erste Blick verriet, was den Gestank hervorrief: Tierkot, Haufen um Haufen, inmitten von zahllosen Urinpfützen.
    «Was zum Teufel …?»
    «Ein
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