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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts
Autoren: James G. Ballard
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Dächer und Schornsteine jagte.
    Er nickte Symington zu. »Wie stark ist er jetzt?«
    »Etwa fünfundfünfzig Meilen. Ziemlich steife Brise. Ein Wunder, daß diese alten Kästen hier noch zusammenhalten. In Tokio oder Bangkok möchte ich jetzt bestimmt nicht sein.«
    Maitland sah auf. »Soll das heißen, daß die da unten etwas Ähnliches haben?«
    Symington nickte. »Genau dasselbe. Und das ist ja das Eigenartige. Soweit wir feststellen können, nimmt die Windstärke überall auf der Welt gleichmäßig zu. Am Äquator ist sie am höchsten, ungefähr sechzig Meilen pro Stunde, und nimmt dann mit den Breitengraden allmählich ab. Mit anderen Worten, es ist, als drehe sich eine geschlossene Lufthülle um die Erde, mit der Achse an den Polen. Hier und da gibt es vielleicht unbedeutende Abweichungen, weil örtliche Winde das Gesamtsystem stören, doch im großen und ganzen kommt der Wind unveränderlich aus Ost.« Er sah auf die Uhr. »Wir wollen die Zehn-Uhr-Nachrichten hören. Es muß gleich soweit sein.«
    Er stellte das Kofferradio an, wartete, bis das Zeitzeichen vorüber war, und drehte dann die Lautstärke auf.
    ›... berichtet von ausgedehnten Verwüstungen aus vielen Teilen der Welt, besonders im Fernen Osten und im Pazifik, wo Zehntausende obdachlos geworden sind. Winde bis zur Stärke eines Hurrikans haben ganze Dörfer und Städte niedergerissen, riesige Flutwellen verursacht und Rettungsarbeiten erschwert. Unser Korrespondent in Neu Delhi berichtet, daß die indische Regierung verschiedene Maßnahmen zur Ersten Hilfe ergreifen will ... Die Schiffahrt ist seit vier Tagen lahmgelegt ... Bis jetzt hat uns noch keine Meldung über etwaige Überlebende des Tankers Onassis Flyer erreicht, der heute früh im Kanal in schwerer See gekentert ist ...‹
    Symington stellte das Radio ab und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Hurrikan ist ja leicht übertrieben. Rettungsarbeiten sind dann absolut unmöglich; jeder versucht nur noch, irgendwo möglichst tief unter der Erde einen Unterschlupf zu finden.«
    Maitland schloß die Augen und lauschte auf das Klappern der Fensterläden. Irgendwo in der Ferne hupte ein Auto. London schien im Vergleich zu den leicht gebauten Bambusstädten an der pazifischen Küste fest und sicher, eine riesige Zitadelle aus Stein und Beton.
    Symington ging in sein Arbeitszimmer hinüber und kam kurz darauf mit einem Gestell voller Reagenzgläser zurück. Er setzte es auf den Tisch, und Maitland beugte sich vor, um die Gläser zu betrachten. Es waren sechs, alle sauber beschildert und gekennzeichnet. Und alle enthielten den gleichen, rotbraunen Staub, den er in den letzten Tagen überall gesehen hatte, das erste Glas etwa einen Viertelzoll, die anderen je etwas mehr, und das letzte fast drei Zoll.
    Auf den Schildchen waren Daten verzeichnet. »Ich habe täglich den Staubanfall gemessen«, erklärte Symington. »Im Garten habe ich einen Regenmesser.«
    Maitland hielt das rechte Glas ans Licht. »Fast zehn Kubik«, bemerkte er. »Schon ganz schön.« Er schüttelte die Kristalle im Glas hin und her. »Was ist das eigentlich? Sieht fast aus wie Sand, aber wo, in drei Teufels Namen kommt der her?«
    Symington lächelte düster. »Auf keinen Fall von der Südküste, sondern von viel weiter her. Aus Neugier habe ich einen von den Chemikern im Ministerium gebeten, das Zeug zu analysieren. Es scheint Löß zu sein, dieser feine, kristallische Mutterboden, den man auf den Alluvial-Ebenen Tibets und Nordchinas findet. Von dort sind seit einiger Zeit keine Meldungen mehr eingelaufen, und das erstaunt mich keineswegs. Wenn die gleiche Menge Staub überall in der nördlichen Hemisphäre ausfällt, so bedeutet das, daß etwa fünfzig Millionen Tonnen Boden quer über den ganzen Mittleren Osten und Europa getragen und einzig auf den Britischen Inseln abgeladen worden sind, soviel wie die obersten zwei Fuß der Gesamtoberfläche unseres Landes.«
    Symington trat ans Fenster und drehte sich dann zu Maitland um. »Donald, ich muß zugeben, ich bin besorgt. Kannst du dir vorstellen, wie groß die Trägheit einer solchen Masse ist? Sie hätte den Wind zu völligem Stillstand bringen müssen. Mein Gott, wenn er ganz Tibet mit dem kleinen Finger davontragen kann, dann kann er noch ganz andere Dinge davontragen.«
    Das Telefon im Flur klingelte. Mit einer Entschuldigung verließ Symington das Zimmer. Er schloß die Tür hinter sich, ohne die Filzstreifen wieder zu befestigen, und der ständige Winddruck, durch
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