Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts
Autoren: James G. Ballard
Vom Netzwerk:
Uhr. Es war sechs, Zeit für ihn, sich nach einem Hotelzimmer umzusehen, obwohl er das Gefühl hatte, daß es in London bestimmt keines mehr gab.
    »Eigenartig«, meinte er. Er wollte zur Tür, doch Susan hielt ihn zurück, das Gesicht gespannt und starr, das lange Haar aus der Stirn zurückgestrichen, so daß es die schmalen Schläfen freigab. »Bitte, Donald, geh noch nicht! Ich habe Angst. Und dieser gräßliche Staub überall ...«
    Maitland beobachtete nachdenklich den eindringenden Staub. Die Kristalle glitzerten im gelben Schein der Lampe. »Ich würde mir keine Gedanken machen, Susan«, sagte er. »Das hört schon wieder auf.« Er lächelte ihr unsicher zu und ging zur Tür. Sie wollte ihm folgen, blieb jedoch stehen und sah ihm stumm nach. Als er den Türknauf drehte, stellte er fest, daß er bereits begann, sie zu vergessen.
    »Bis bald einmal«, brachte er noch heraus und hob die Hand. Dann trat er in den Flur. Als er die Tür ins Schloß zog, fiel noch einmal sein Blick auf sie. Sie stand da und strich sich das lange Haar zurück, während ihre Augen bereits wieder zur Bar wanderten.
    Er holte seine Koffer aus dem Abstellraum im nächsten Stock, fuhr mit dem Lift ins Erdgeschoß und bat den Portier, ein Taxi zu rufen. Die Straßen waren menschenleer; dicker, roter Staub bedeckte das Gras der Grünanlage. Die Bäume bogen sich unter dem Anprall des Windes, und überall lagen Äste am Boden. Während er auf das Taxi wartete, rief er den Flughafen an und erfuhr nach langem Warten, daß alle Flüge auf unbestimmte Zeit abgesagt worden waren. Die Flugscheine konnten im Büro zurückgegeben, neue Reservierungen jedoch erst von einem noch bekanntzugebenden Datum an entgegengenommen werden.
    Maitland hatte sein Geld schon bis auf ein paar Pfundnoten in kanadische Dollars umgetauscht. Um sich die Mühe eines abermaligen Wechselns zu sparen, beschloß er, die paar Tage, bis er einen neuen Flug buchen konnte, bei Andrew Symington, einem seiner besten Freunde, zu verbringen. Andrew war Elektronik-Ingenieur und arbeitete für das Luftfahrtministerium.
    Er lebte mit seiner Frau in einem Häuschen in Swiss Cottage. Während sich das Taxi langsam einen Weg durch den Verkehr in Park Lane bahnte – der Ostwind hatte die Seitenstraßen in regelrechte Hochdruck-Windkanäle verwandelt, die die Autos zwangen, mit höchstens fünfzehn bis zwanzig Meilen pro Stunde dahinzukriechen –, stellte Maitland sich schon vor, wie die Symingtons ihn necken würden, wenn sie hörten, daß die lang ersehnte Abreise nach Kanada nun doch noch aufgeschoben werden mußte.
    Andrew hatte ihm zugeredet, die Arbeit am Middlesex nicht einfach im Stich zu lassen, nur um Susan und dem Gefühl, versagt zu haben, das ihm seine Verbindung mit ihr vermittelte, zu entfliehen. Maitland lehnte sich in die Polster zurück, betrachtete sein Spiegelbild in der Glasscheibe, die ihn vom Fahrer trennte, und überlegte, ob Andrew wohl recht gehabt hatte. Äußerlich stellte er ganz gewiß nicht den Typ eines gefühlsgetriebenen Menschen dar. Er war groß und hielt sich leicht nach vorn gebeugt, hatte ein schmales, energisches Gesicht mit ruhigen Augen und kräftigem Kinn. Nein, im Gegenteil, er war höchstens übertrieben resolut, zu unbeugsam, Opfer seines rationalen Verstandes und analysierte sich selbst mit der gleichen Logik, die er in seinen Versuchen anwandte. Wie weit ihn das glücklich gemacht hatte, blieb dahingestellt.
    Ein Stück weiter vorn ertönten Autohupen, und auf beiden Fahrbahnen kam der Verkehr zum Stocken. Kurz darauf schoß direkt vor ihnen von oben ein flimmerndes Feuerrad auf die Straße.
    Der Fahrer bremste scharf. Maitland wurde nach vorn geschleudert und schlug schmerzhaft mit dem Kinn gegen die Scheibe. Er preßte beide Hände vors Gesicht und fiel in den Sitz zurück, während auf die Motorhaube des Fahrzeugs eine grelle Funkenkaskade herabregnete. Der Wind hatte ein Stromkabel losgerissen, das nun direkt auf den Wagen herunterhing und einen feurigen Lichtbogen erzeugte. Immer wieder schleuderten Böen es hoch hinauf, immer wieder schlug es klatschend auf die Motorhaube zurück.
    Von Panik getrieben, öffnete der Fahrer den Schlag. Augenblicklich packte der Wind die Tür und drückte sie vollends auf, so daß der Fahrer mitgerissen wurde. Neben dem Vorderrad kam er wieder auf die Füße, stolperte jedoch über die langen Schöße seines Mantels. In diesem Augenblick sauste das Kabel abermals auf die Motorhaube und auf den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher