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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts
Autoren: James G. Ballard
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paar Körner auf und rieb sie zwischen den Fingern. Anders als der übliche graue Niederschlag der Großstadt London war dieser Staub, scharf und kristallisch und von deutlich rotbrauner Tönung.
    In Notting Hill mußten sie ihr Tempo mäßigen und einen Bogen um eine Gruppe Arbeiter machen, die eine große, vom Wind umgebrochene Ulme zersägten. Im Rinnstein hatte der Sturm den Staub dick zusammengeweht. Er setzte sich in die Löcher und Spalten der niedrigen Mauern, die die Grundstücke umgaben, so daß die Straße dem sandigen Bett eines ausgetrockneten Gebirgsbaches glich.
    Am Lancaster Gate bogen sie in den Hyde Park ein und fuhren langsam unter den windzerzausten Bäumen auf Knightsbridge zu. Als sie die Serpentine überquerten, entdeckte er, daß man am unteren Ende des Sees Wellenbrecher errichtet hatte. Weißgekrönte, fußhohe Wellen brachen sich an den hölzernen Palisaden und warfen Wrackteile von zerschmetterten Ruderbooten hinauf.
    Als sie durch das Duke-of-Edinburgh-Gate fuhren, schob Maitland die Glastrennwand zum Fahrer beiseite. Der Wind schlug ihm ins Gesicht. Er mußte laut schreien, um sich verständlich zu machen.
    »Lowndes Square neunundzwanzig! Scheint ziemlich böses Wetter zu sein hier!«
    »Das kann man wohl sagen!« schrie der Fahrer zurück. »Hab eben gehört, daß ITV nicht mehr sendet. Heute morgen ist der Turm vom Crystal Palace 'runtergekommen. Soll schon zweihundert Meilen die Stunde machen.«
    Maitland nickte mitfühlend. Als sie stoppten, zahlte er und lief über den verlassenen Gehsteig ins Foyer des Apartmenthauses.
    Ehe sie vor sieben Jahren heirateten, hatte die Wohnung Susan gehört, und auch jetzt noch zahlte sie die Miete, da die Wohnung sich bei Susans Stippvisiten in London als durchaus praktisch erwiesen hatte. Für Maitland war sie ein Geschenk des Himmels; von seinem Stipendium hätte er sich kaum mehr als ein billiges Hotelzimmer leisten können. Manchmal durfte man sich wirklich glücklich schätzen, mit einer reichen Neurotikerin verheiratet zu sein. In gewisser Weise, indirekt, leisteten Susan und ihre Playboys einen größeren Beitrag zur Fortentwicklung der Wissenschaft, als sie ahnten.
    »Gute Fahrt gehabt, Dr. Maitland?« fragte der Portier, als er das Haus betrat. Er fegte gerade den roten Staub zusammen, der von der Straße hereingeweht war und sich unter den Heizkörpern an den Fußleisten abgesetzt hatte.
    »Danke, ja«, erwiderte Maitland, trug seinen Koffer in den Lift und fuhr in den zehnten Stock hinauf. Er hoffte, daß der Portier nicht auf den Zeiger über der Lifttür achtete. Seine Wohnung lag nämlich im neunten Stock, aber als er sich auf den Weg zum Flughafen machte, hatte er in seinem Optimismus angenommen, daß er sie nie wieder betreten würde, und hatte seine beiden Schlüssel in ein Kuvert getan und es durch den Briefschlitz geworfen. Die Putzfrau würde es schon finden.
    Im zehnten Stock stieg er aus und trug seinen Koffer den schmalen Flur entlang, um den Aufzugschacht herum, und deponierte ihn in einem kleinen Abstellraum neben der Hintertreppe. Von hier ging ein Fenster hinaus auf die Feuertreppe, die im Zickzack an der Hauswand entlang nach unten führte. An jeder Kehre war sie vom Küchenfenster einer Wohnung aus zugänglich.
    Maitland kletterte durch die Stäbe und stieg hinunter bis zu dem Absatz vor seiner Wohnung. Wie alle Feuertreppen, war auch diese vornehmlich dazu bestimmt, Einbrechern den Weg nach oben zu versperren, und erst in zweiter Linie dazu, den Bewohnern eine Fluchtmöglichkeit zu bieten. Schwere, fast zwei Meter hohe Tore schlossen jeden Treppenabsatz ab und waren mit der Zeit unverrückbar in ihren Halterungen festgerostet. Maitland kauerte sich nieder, um sich ein wenig vor dem scharfen Wind zu schützen, beobachtete die Lichter in den Wohnungen über sich und fingerte an dem altmodischen Federriegel herum. Neun Stock unter ihm lag der mit Kopfsteinen gepflasterte Hinterhof leer und verlassen. Staubgeschwängerte Sturmböen jagten an der einsamen Laterne vorbei.
    Endlich gelang es ihm, den Riegel zu öffnen. Er trat durch das Tor und drückte es hinter sich wieder ins Schloß. Um den rückwärtigen Teil seiner Wohnung lief ein schmaler Balkon, und er schritt an den dunklen Fenstern vorbei bis ganz nach hinten. Unter seinen Füßen knirschte der Staub auf den Steinen, und sein Gesicht schmerzte vom Aufprall Tausender winzig kleiner Partikelchen.
    Bevor er ging, hatte er alles abgesperrt, doch eine der großen
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