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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts
Autoren: James G. Ballard
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sie über die Corniche Nizza erreicht. Auf dem Lazarettgelände standen Lastwagen und Jeeps, deren Fahrer sich in den Toreinfahrten der Laderampen zusammendrängten. Zwei Militärpolizisten dirigierten den Transporter zu einem der rückwärtigen Flügel, wo Lanyon und die Sanitäter ausstiegen und ins Haus gingen.
    »Sie kommen spät, Commander«, wurde Lanyon in der Rezeption von einem untersetzten, rotgesichtigen Major begrüßt. »Anscheinend bläst es draußen wirklich ganz hübsch jetzt.«
    Er führte Lanyon in ein kleines Büro, wo auf dem Tisch ein Tablett mit Kaffee und frischen Brötchen stand.
    Lanyon zog seine Lederjacke aus, schenkte sich Kaffee ein und machte es sich erleichtert auf einer großen Teakholzkiste an der Wand bequem.
    Hastig drückte der Major seine Zigarette aus und schob ihm einen Segeltuchstuhl hin.
    »Tut mir leid, Commander, aber setzen Sie sich lieber auf den hier. Wir wollen uns doch dem General gegenüber nicht despektierlich benehmen, nicht wahr?«
    Lanyon sprang auf. »Was sagen Sie da?« fragte er erstaunt. »Von welchem General reden Sie?«
    Der Major grinste. »Van Damm.« Er zeigte auf die Teakholzkiste. »Sie haben auf ihm gesessen.«
    Lanyon setzte die Kaffeetasse ab. »Wollen Sie sagen daß Van Damm tot ist?« Als der Major nickte, starrte er kopfschüttelnd auf den Sarg hinunter. Er war von starken Stahlbändern umschlossen und trug das Siegel der Gräberkommission sowie einen Marschbefehl aus Paris.
    Der Major lachte tonlos vor sich hin, sah an Lanyons sturmzerfetzter Uniform auf und ab und schüttelte amüsiert den Kopf. Lanyon wartete, bis er fertig war.
    »Und jetzt erzählen Sie mal, was wirklich drin ist«, sagte er. »'ne Atombombe? Oder der Schoßhund von einer Dame? Oder was?«
    Noch immer lachend, zog der Major eine silberne Taschenflasche heraus, nahm einen Pappbecher vom Wasserspender in der Ecke und schob beides über den Tisch Lanyon zu.
    »Nein, es ist wirklich Van Damm. Ist ja wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um ihn zu überführen, aber er ist für Arlington vorgesehen, und wenn er jetzt nicht hinkommt, kommt er vermutlich nie hin. Der Andrang ist zu groß.«
    Lanyon schenkte sich einen steifen Whisky ein. »Also ist er doch bei dem Flugzeugunglück umgekommen?«
    »Er ist vorher umgekommen. Van Damm ist vor zwei Wochen bei einem Autounfall in Spanien tödlich verunglückt. Er wollte dem spanischen Staatschef einen Privatbesuch abstatten, der vorsichtshalber geheimgehalten wurde, damit er seiner Wahlkampagne nicht schade. Die Leiche sollte per Flugzeug nach Hause gebracht werden. Den Absturz hat keiner überlebt. Die alte Connie ist direkt über Orly ungespitzt in den Boden gegangen. Man hat die Reste von Van Damm 'rausgefischt und sie nach hier geschickt.« Er steckte die Flasche wieder ein, trat an den Sarg und klopfte ans Holz. »Gute Reise heim in die Staaten, Herr General.«
     
    Lanyon verbrachte die Nacht im Hotel Europa, einem großen, fünfstöckigen Kasten am Strand. Die hohen Gebäude im Hotelbezirk machten die Straßen einigermaßen begehbar. Die meisten Hotelbesitzer hatten an den Häuserwänden entlang enge, überdachte Korridore aus Sandsäcken bauen lassen; die ganze Stadt war von diesen düsteren Tunnels durchzogen. Eine ganze Anzahl von Bars und Bistros waren noch geöffnet, und auch im Hotel Europa saßen die halbe Nacht hindurch vierzig bis fünfzig Gäste an der Bar, hörten Radioberichte und diskutierten Fluchtmöglichkeiten.
    Lanyon schätzte, daß es noch immer keine Anzeichen für ein Nachlassen des Sturmes gab; im Gegenteil, er nahm noch immer um fünf Meilen pro Stunde am Tag zu. Die letzte Messung hatte einhundertsiebzehn ergeben. Nach der anfänglichen Tatenlosigkeit fanden jetzt überall organisierte Versuche, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, statt. Die Regierungen beschlagnahmten Bergwerke und unterirdische Bunker, horteten Lebensmittel und Medikamente. Die Nachrichten widersprachen sich häufig, doch es schien, daß fast ganz Europa und Amerika weniger betroffen waren, während Südamerika, Afrika und der Osten einer vollkommenen Zerstörung anheimfielen und sich die ersten Anzeichen von Hungersnot und Seuchen zeigten.
     
    Am nächsten Morgen um sieben machten sie sich auf den Rückweg nach Genua – der Teakholzsarg, in eine Segeltuchplane gehüllt, im Stauraum unter der Matratze. Goldman hatte einige bittere Zynismen von sich gegeben. Lanyon selbst empfand wegen der Verschwendung des Potentials der Terrapin ebenfalls
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