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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod
Autoren: Volker Kutscher
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einige Erinnerungslücken. Da drinnen saßen sie jedenfalls, seine Freunde, sie warteten bestimmt schon lange auf ihn, er musste jetzt endlich mal da rein, warum stand er überhaupt noch hier, er war so müde, er musste sich endlich setzen. In seinen Sessel und Musik hören und irgendwann einschlafen. Ja, genau das wollte er jetzt!
    Er öffnete die Tür zu seinem Wohnzimmer, doch irgendjemand hatte den Plattenspieler gestohlen und stattdessen einen Kamin dorthin gestellt. Und am Kamin stand Wolfgang Marquard, was hatte der hier zu suchen, der sollte ihn in Ruhe lassen, der wollte ihn doch umbringen und Kirie, und jetzt hatte er sogar eine Pistole. Die Mauser kannte er, das war seine, konnte so einer wie Marquard überhaupt damit umgehen? Das musste dem Mann doch jemand zeigen!
    Und da stand Paul, und der schien plötzlich vom Boden abzuheben und zu fliegen, das hatte der alte Wittkamp ihm noch nie erzählt, dass er fliegen konnte, wollte wohl vor Charly angeben, der Mistkerl.
    Denn da saß wirklich Charly in einem Sessel! Charlotte Ritter war zu ihm zurückgekommen und schaute ihn mit großen Augen an. Mit riesengroßen Augen.
    Was für ein schönes Bild!
    Er brachte noch ein Lächeln zustande.
    Dann stellte irgendjemand den Raum auf den Kopf, einfach so, und machte das Licht aus. Und die Dunkelheit hatte ihn wieder und zog ihn unerbittlich zu sich in die Tiefe.
     
    Kapitel59
     
    Wolfgang Marquard hatte Gereon Rath angestarrt wie ein Gespenst. Gereon Rath, der leicht schwankend plötzlich in der Tür stand, mit Schweiß auf der Stirn und einer Flasche in der Hand, wie das Denkmal eines Trinkers.
    Und dann machte Marquard einen Fehler. Er wandte sich dem Eindringling zu, um ihn in Schach zu halten, und das nutzte Paul aus. Er sprang dem Mann direkt in die Schusshand und riss ihn um, die Pistole polterte auf den Boden und schlitterte über das glänzende Parkett bis an den Kamin.
    Und was tat Gereon?
    Er lächelte Charly selig an, als sei sie alles, was er vom Leben noch verlange, und dann brach er zusammen.
    Gereon klappte einfach zusammen, wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte.
    Was hatten sie mit ihm gemacht?
    Keine Zeit, darüber nachzudenken, vor ihr auf dem Boden, in bedenklicher Nähe des Kaminfeuers, wälzten sich Paul und Marquard, und jeder versuchte, irgendwie die Oberhand zu gewinnen oder die Pistole zu ergattern. Einmal sah es so aus, als hätte Paul es geschafft, doch Marquard schien stark zu sein, er wehrte sich heftig. Kirie tanzte um die beiden kämpfenden Männer herum und bellte sie an.
    Charly hasste körperliche Gewalt, aber sie musste eingreifen, sonst würde das hier kein gutes Ende nehmen!
    Vorsichtig näherte sie sich dem kämpfenden Knäuel. Die beiden lieferten sich einen Ringkampf, keinen Boxkampf, und deswegen nahm es wohl auch kein Ende. Aber es musste beendet werden. Sie passte auf, bis Wolfgang Marquard ihr das Gesicht zuwandte.
    Und dann trat sie beherzt zu, so fest sie konnte. Marquard warf seinen Kopf nach hinten und blieb liegen, und Paul schaute sie dankbar an.
    Dann lief sie zu Gereon hinüber, an dem Kirie schon schnüffelte und leckte.
    Er sah übel aus. Schweiß stand auf seiner Stirn, die Gesichtshaut kalkweiß. Sie fühlte seinen Puls, doch der war erschreckend schwach.
    Sie tätschelte ihm die Wangen, sprach mit ihm, schrie ihn schließlich an und ohrfeigte ihn. Aber Gereon rührte sich nicht.
    Da rannte sie über die Terrassentür hinaus in den dunklen Garten und steckte die Trillerpfeife zwischen die Lippen, versuchte sich in Richtung Straße zu orientieren und pfiff, lief immer weiter und pfiff, lief und pfiff, lief und pfiff. Als sie das Tor erreicht hatte, kamen ihr die Schupos schon entgegen. Mit gezogenen Pistolen stürmten sie in Richtung Haus.
    »Wir brauchen einen Arzt«, rief sie und merkte, wie sie zum ersten Mal an diesem Abend wirklich kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren. »Schnell, einen Arzt.«
    In diesem Augenblick fiel drinnen im Haus ein Schuss.

Donnerstag,   13. März 1930

Kapitel 60
    Durch ein schmales Fenster hoch oben unter der Decke kann er ein Stück Himmel sehen. Es ist grau. Ein schweres Grau,
    schwer von Schnee. Bald wird es schneien, er sieht es, er riecht es, ein letztes Mal in diesem Jahr wird es schneien.
    Er hat ihnen alles gesagt, diesen Polizisten, aber sie sind dumm, sie verstehen gar nichts. Stellen die falschen Fragen, wollen die wichtigen Dinge gar nicht hören, unterbrechen ihn, haken immer wieder an
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