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Der Stern von Yucatan

Der Stern von Yucatan

Titel: Der Stern von Yucatan
Autoren: Debbie Macomber
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hatten allen Widrigkeiten getrotzt, um zu heiraten. Das waren die Abenteuer- und herrlichen Gutenachtgeschichten ihrer frühen Kindheit gewesen, die einen tiefen und bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen hatten.
    Vielleicht war das einer der Gründe, warum sie bis zum achtundzwanzigsten Lebensjahr gewartet hatte, ehe sie sich verlobte. Jahrelang hatte sie den Mann gesucht, der ihrem Vater glich: nobel, ehrlich, mutig, ein integerer Mensch mit hohen Idealen. Niemand schien diesen Ansprüchen zu genügen, bis Gary Franklin in ihr Leben getreten war.
    “Lorraine, alle sind gegangen.” Gary schlang den Arm fester um ihre Taille.
    “Noch nicht. Bitte.” Sie mochte ihre Mutter nicht in einem feuchten kühlen Grab zurücklassen, wo sie doch noch nicht einmal fünfzig gewesen war. Der Schmerz war unerträglich. Schließlich übermannte er sie, und Tränen liefen ihr über die Wangen.
    “Komm, Kleines, lass uns gehen”, drängte Gary sanft und mitfühlend.
    Lorraine wich einen Schritt zurück. Sie wollte Gary nicht um sich haben. Sie konnte jetzt niemand ertragen, sie wollte nur ihre Mutter zurück. “Oh, Mom”, schluchzte sie auf und konnte nicht mehr aufhören zu weinen.
    Gary drehte sie in seinen Armen zu sich herum und drückte sie tröstend an sich. “Lass es raus, Liebes. Es ist okay. Wein dich aus.”
    Lorraine barg das Gesicht an seiner Schulter und weinte wie in jener Nacht, als der Streifenpolizist ihr die tragische Nachricht überbracht hatte. Wie lange Gary sie weinen ließ, wusste sie später nicht mehr. Jedenfalls bis ihre Augen brannten, die Nase lief und keine Tränen mehr kommen wollten.
    “Das Haus wird sich langsam füllen. Du wirst dort erwartet”, erinnerte Gary sie.
    “Ja, wir sollten gehen”, stimmte sie zu und putzte sich die Nase mit einem Papiertaschentuch, das er ihr reichte. Sie war dankbar, dass Virginias Nachbarin Mrs. Henshaw alle Trauergäste ins Haus ließ. Inzwischen fühlte Lorraine sich etwas ruhiger und beherrschter. Die Trauergäste würden mit ihr über ihre Mutter reden wollen, da sie als Einzige von der Familie übrig war. Deshalb musste sie ihre Gefühle unter Kontrolle bringen.
    Zusammen mit Gary ging sie zum Parkplatz, fort vom einzigen Elternteil, den sie gekannt hatte. Ein kleiner Trost bestand darin, dass ihre Eltern nach fünfundzwanzig Jahren Trennung wieder vereint sein würden.
    Lorraine konnte nicht schlafen, aber sie hatte es auch nicht anders erwartet. Sie müsste erschöpft sein und war es auch, da sie seit Tagen kein Auge zugetan hatte. Diese letzte Woche war die emotional strapaziöseste ihres Lebens gewesen. Doch sogar jetzt, nach der Beerdigung und der Trauerfeier, war sie zu unruhig, um in Schlaf zu verfallen.
    Gary hielt es für keine gute Idee, die Nacht im Haus ihrer Mutter zu verbringen. Vermutlich hatte er recht. Ihr Urteilsvermögen hatte genau wie alle anderen Fähigkeiten unter dem Schock der Todesnachricht gelitten.
    Die Trauerfeier hatte hier, in Virginias Haus stattgefunden. Das war ihr sinnvoll erschienen, da ihr Apartment für so viele Gäste viel zu klein war und ein Restaurant ihr zu unpersönlich vorkam. Die Gemeindemitglieder der St. John’s Kirche, in die Virginia all die Jahre treu zur Messe gegangen war, sowie eine große Gruppe von Nachbarn, Mitarbeitern und Freunden waren gekommen, Lorraine ihr Beileid auszusprechen. Allen fiel es offenbar schwer, den plötzlichen Tod von Virginia Dancy hinzunehmen.
    Virginia war eine gläubige Katholikin und ein aktives Mitglied der Gemeinde gewesen. Zwanzig Jahre lang hatte sie im Kirchenchor gesungen und unermüdlich für ihre Kirchen-“Familie” gearbeitet. Als Börsenmaklerin mit einer großen nationalen Firma hatte sie sich in der Geschäftswelt einen Namen gemacht. Der Umsatz ihrer Firma war hoch, doch Virginia hatte lernen müssen, dass Geschäftsfreundschaften oft nur flüchtig waren. Dennoch war ihr Haus zur Trauerfeier voller Menschen.
    Lorraine wurde, entgegen ihrer Annahme, als Gastgeberin nicht gebraucht. Freunde und Nachbarn sorgten mit Aufläufen, Pasteten, Broten und Salaten für reichhaltige Verköstigung, die im Esszimmer angeboten wurde. Getränke, Gläser, Teller und Besteck standen in der Küche auf den Arbeitsplatten.
    Lorraine war allen dankbar, vor allem Gary, der sich liebevoll und hilfreich um alles kümmerte. Trotzdem hatte sie während des Empfangs das dringende Bedürfnis, allein zu trauern, ohne von Menschen bedrängt zu werden. Leider war das ausgeschlossen. Sie
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