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Der Stern von Yucatan

Der Stern von Yucatan

Titel: Der Stern von Yucatan
Autoren: Debbie Macomber
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Weihnachtsfest geschenkt hatte. Nach kurzem Überlegen entschloss sie sich, im Zimmer ihrer Mutter zu schlafen, anstatt in ihrem eigenen. Wenn sie als Kind Angst gehabt hatte, war sie immer zur Mutter ins Bett gekrochen. Sie hatte auch jetzt Angst. Angst vor der Zukunft, Angst, allein und ohne Familie zu sein.
    Als sie schlaflos dalag, tröstete sie sich mit ihren Erinnerungen. Sie hatten viele glückliche Stunden mit dem Kochen umfangreicher Menüs, dem Gucken alter Filme, die sie beide liebten, oder dem Austauschen von Lieblingsbüchern verbracht. Virginia hatte in verschiedenen Wohltätigkeitseinrichtungen der Kirche mitgearbeitet, und Lorraine hatte an so manchem Abend Pakete für Bedürftige gepackt oder Briefumschläge gefüllt. Ihre Mutter war eine wunderbare Frau gewesen, und sie war stolz auf sie. Eine harte Arbeiterin, aber mit einem freundlichen Herzen, klug und großzügig.
    Nach etwa einer Stunde gab Lorraine es auf, einschlafen zu wollen. Sie setzte sich auf und griff nach dem gerahmten Foto ihrer Eltern auf dem Nachttisch. Das Bild zeigte eine junge, schöne Virginia in einem bodenlangen Kleid mit einem Kranz aus Wildblumen auf dem Kopf. Ihr langes, glattes Haar reichte ihr fast bis zur Taille. In einer Hand hielt sie ein kleines Bouquet aus Wildblumen, mit der anderen die Hand ihres Mannes. Ihre Augen strahlten vor Glück, während sie direkt in die Kamera blickte.
    Thomas Dancy daneben war groß, bärtig und trug das lange Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Er sah seine Frau liebevoll an. Dem Foto merkte man an, wie sehr die beiden einander zugetan waren.
    Erst letztes Wochenende, als sie über ihre Hochzeitspläne gesprochen hatten, hatte sie ihre Mutter mit diesem Foto aufgezogen und sie als “Blumenkinder” verspottet. Virginia hatte es mit Humor genommen und lediglich erwidert: “Das ist lange her.”
    Leider war dies das einzige Foto in ihrem Besitz, auf dem ihre Eltern zusammen abgebildet waren. Alles andere war vor Jahren in einem Feuer zerstört worden, als sie gerade in die Grundschule gekommen war. An das Feuer selbst konnte sie sich gar nicht erinnern, bis ihr Jahre später das Fehlen vieler Dinge bewusst wurde: Fotos ihrer Eltern, Briefe und die Orden ihres Vaters. Lorraine wusste, dass Virginia O’Malley Thomas Dancy in ihrem ersten Jahr auf dem College kennen und lieben gelernt hatte. Der Vietnamkrieg trennte sie, als ihr Vater sich Anfang der Siebziger freiwillig zur Army meldete. Er überlebte die Kämpfe und kam als Held zurück. Ein Jahr später zeigte sich bei einer Routineuntersuchung etwas Ungewöhnliches in seinem Blutbild. Die Anomalie stellte sich als Leukämie heraus. Innerhalb von sechs Monaten war Thomas tot, und Virginia war eine junge Witwe mit einem Kind.
    Viele Jahre hindurch hatten Virginias Eltern ihnen finanziell geholfen, aber Lorraines Großeltern mütterlicherseits waren beide in den achtziger Jahren gestorben. Die Familie ihres Vaters war ihr unbekannt. Ihre Mutter hatte noch einen jüngeren Bruder. Wegen seines Drogen- und Alkoholkonsums hatten die beiden jedoch bestenfalls flüchtigen Kontakt gehabt. Zuletzt hatte Virginia vor etwa fünf Jahren von ihm gehört, als er anrief und sie um Geld für eine Kaution bat. Lorraines einzige Cousine lebte irgendwo in Kalifornien. Von der hatte sie allerdings, seit sie dreizehn war, nichts gehört oder gesehen.
    Mit anderen Worten, sie war allein auf der Welt.
    Das Telefonläuten schreckte sie auf. Sie fuhr herum und schnappte sich den Hörer. “Hallo”, sagte sie atemlos, nicht sicher, wen sie erwarten konnte.
    Es war Gary. “Ich wollte mich nur überzeugen, dass bei dir alles in Ordnung ist.”
    “Alles klar”, erwiderte sie.
    “Möchtest du, dass ich zu dir komme?”
    “Nein.”
Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich allein sein möchte?
Sein Drängen wurmte sie, es sah ihm nicht ähnlich.
    “Ich glaube, es ist einfach nicht gut für dich, allein zu sein.” Er hatte das schon mehrmals betont. “Ich weiß, das ist ein schrecklicher Schock für dich gewesen, aber du solltest dich jetzt keinesfalls isolieren.”
    “Gary, bitte, ich habe heute Nachmittag meine Mutter begraben. Ich … ich habe sonst niemand.”
    Nach dieser Bemerkung entstand eine betretene Pause. “Du hast mich”, widersprach er leise und hörbar verletzt.
    Sie bedauerte ihre gedankenlose Wortwahl, ärgerte sich aber zugleich über seine Aufdringlichkeit. “Ich weiß, wie das geklungen haben muss, und es tut mir leid. Aber für
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