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Der Stern von Yucatan

Der Stern von Yucatan

Titel: Der Stern von Yucatan
Autoren: Debbie Macomber
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in mehreren schnellen Schlucken leer, schloss die Augen und versuchte zu verdauen, was sie soeben erfahren hatte.
    “Tut mir leid, falls Sie der Brief aus der Bahn geworfen hat”, sagte Dennis.
    “Sie haben ihn wirklich nicht gelesen?”, fragte sie mit zittriger Stimme.
    “Nein, natürlich nicht. Es wäre in hohem Maße unethisch, so etwas zu tun.”
    Lorraine wartete, bis sie einigermaßen emotionslos sprechen konnte. “Es sieht so aus, Dennis”, erklärte sie ruhig, “dass mein Vater wohl doch nicht tot ist.”

2. KAPITEL
    T homas Dancy wurde von einem Albtraum aus tiefem Schlaf gerissen. Er schlug die Augen auf und atmete durch. Ein Windhauch wehte durch das offene Schlafzimmerfenster, und ein voller Aprilmond warf kaltes Licht in den Raum.
    Ich habe nur geträumt, sagte er sich. Es war immer derselbe Traum, der sich in regelmäßigen Abständen wiederholte. Obwohl inzwischen dreißig Jahre vergangen waren, hatte er nichts an Intensität verloren. Thomas durchlitt jedes entsetzliche Detail – und wie stets erwachte er am selben Punkt, vor Angst und Entsetzen zitternd. Und jedes Mal fühlte er sich ungeheuer erleichtert, dass es nur ein Traum war. Wieder musste er sich klarmachen, dass das Schlimmste vorüber war. Er war einmal durch diese Hölle gegangen und hatte überlebt.
    Thomas warf das Laken zurück und setzte sich in der Dunkelheit auf die Kante der dünnen Matratze, noch ganz benommen von den Nachwirkungen des Albtraumes. Selbst vollkommen wach, spürte er die Angst in allen Knochen.
    Er hatte sehr viel verloren damals, Anfang der Siebziger. Bei Weitem der größte und schwerste Verlust waren seine Frau und seine Tochter gewesen. Doch der Traum hatte nichts mit ihnen zu tun.
    Um seine Niedergeschlagenheit zu verscheuchen, stellte er sich Ginny und die kleine Raine bei seinem Abschied nach Vietnam vor. Ginny war sehr jung gewesen und wunderschön. Das Gesicht tränenüberströmt, hatte sie ihre kleine Tochter in den Armen gehalten. Abgesehen von allem anderen, was in den Jahren dazwischen schief gegangen war, konnte ihn dieses besondere Bild immer aufmuntern.
    Sie war zum Flughafen gekommen, um ihn zu verabschieden, als er in einen Krieg zog, den er nicht verstand und den er nicht kämpfen wollte. Es hatte ihn fast umgebracht, seine Familie an jenem Tag zu verlassen, und am Ende war er es gewesen, der andere umbringen musste.
    Das alte Schuldgefühl stieg in ihm hoch, und er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht, dass seine Gedanken wieder diesen Weg gingen. Er rieb sich das Gesicht mit beiden Händen, als könnte er so die Reste des Traumes und alle damit einhergehenden Erinnerungen vertreiben.
    Es funktionierte nicht.
    Er begann wieder zu zittern, stand auf, ging zum Fenster und starrte in die Nacht. In einiger Entfernung sah er die Spiegelung des Mondlichtes auf dem glatten Wasser der Bucht. Er musste sich bewusst machen, dass der Krieg mit all seinen Gräueln weit hinter ihm lag.
    Der Krieg verblasste in seinen Gedanken, stattdessen kamen Erinnerungen an Ginny zurück. Trotz der vielen vergangenen Jahre, und obwohl sie ihn verlassen hatte, liebte er sie immer noch. Er hatte sich hier, in El Mirador, ein neues Leben geschaffen, und er betrachtete Mexiko seit Langem als seine Heimat. Hier war er ein einfacher Mann und lebte ein einfaches Leben. Er war nie reich gewesen, und Geld hatte ihm nie besonders viel bedeutet. Ginny hatte das verstanden.
    Ginny …
    Ehe sein Traum in die Bilder und Geräusche eines brutalen Krieges übergewechselt war, hatte er seine Frau Ginny gesehen, wie sie mit zwanzig gewesen war. Sie war so real gewesen wie jetzt die Fensterbank unter seinen Fingern.
    Sein Herz wollte überquellen, wenn er nur an sie dachte. Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung auf dem Universitätscampus. Als jungfräulich und verklemmt hatte er sie abgetan. Aber das Klischee von Gegensätzen, die sich anziehen, hatte in ihrem Fall sicher gestimmt. Er hatte an die Ideale der Sechziger geglaubt – Studentenrevolte und Freiheit in allen Dingen –, sie verachtete Ideologien.
    Zufällig besuchten sie dieselbe Englischvorlesung und saßen sich gegenüber. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Zurückhaltung zu überwinden. Ginny war eine Versuchung gewesen, der er nicht widerstehen konnte. Er hatte es nicht beabsichtigt, aber ehe er sich versah, war er in sie verliebt gewesen.
    Und sie in ihn.
    Ein schwaches Lächeln entspannte seine Gesichtszüge, als er an das erste Mal dachte, als sie
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