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Der Stern von Yucatan

Der Stern von Yucatan

Titel: Der Stern von Yucatan
Autoren: Debbie Macomber
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brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass die Trauergäste ebenfalls Trost suchten. Also nahm sie deren Beileidsbekundungen entgegen und schlüpfte selbst in die Rolle des Trösters.
    Nicht lange, und sie war so erschöpft, dass sie sich in den Lieblingssessel ihrer Mutter fallen ließ. Dort zu sitzen half ihr, sich der geliebten Mutter verbunden zu fühlen. Es dämpfte den Schmerz der Einsamkeit, der sie in einem Raum voller Menschen zu verzehren drohte.
    Eine große Welle an Mitgefühl und guten Ratschlägen war ihr entgegengeschwappt.
    “Natürlich möchtest du das Haus behalten …”
    Lorraine hatte genickt.
    “Natürlich willst du das Haus verkaufen …”
    Lorraine hatte genickt.
    “Deine Mutter war eine wundervolle Frau …”
    “Wir werden sie alle vermissen …”
    “Sie ist jetzt an einem glücklicheren Ort …”
    “… welch eine sinnlose Tragödie.”
    Lorraine hatte jedem und allem zugestimmt.
    Es war bereits dunkel, als der Letzte ging. Gary hatte ihr beim Aufräumen geholfen und sie dann gedrängt, in ihre eigene Wohnung zurückzukehren. Oder wenigstens mit zu ihm zu kommen. Er konnte nicht verstehen, warum sie hier bleiben wollte. Aber wie sollte er auch. Er hatte keinen Elternteil verloren.
    “Fahr du nach Hause”, bat sie ihn. “Ich komme schon zurecht.”
    “Darling, du solltest nicht allein sein. Nicht heute Nacht.”
    “Ich möchte aber allein sein”, beharrte sie und konnte es nicht erwarten, dass er endlich ging. Sie verstand sich selbst nicht recht. Sie liebte Gary und wollte den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen, aber im Moment ertrug sie ihn nicht. Sie musste mit ihrem Kummer und ihrem Schmerz allein fertig werden.
    “Du brauchst mich”, betonte Gary liebevoll besorgt.
    “Ja, stimmt, aber nicht im Moment.”
    Enttäuschung sprach aus seiner Miene, doch Gary fügte sich nickend, wenn auch widerwillig. “Du rufst an, wenn du deine Meinung änderst, ja?”
    Sie versprach es ihm.
    Er küsste sie in einer liebevollen Geste des Trostes auf die Stirn. In der Abendkühle fröstelnd, stand sie auf der Veranda und sah ihm nach, wie er davonfuhr.
    Sie spülte das restliche Geschirr und wanderte dann ziellos durchs Haus, wobei sie an der Schwelle jedes Zimmers stehen blieb. Zärtlich strich sie über die Dinge, die ihrer Mutter besonders lieb und teuer gewesen waren.
    Sie fand Trost in der Gewissheit, dass Virginia in den letzten Tagen ihres Lebens glücklich und schier begeistert gewesen war, eine große Hochzeit ausrichten zu dürfen.
    Lorraine hatte kaum Garys Antrag angenommen, als Virginia auch schon damit begann, umfangreiche Pläne für das Fest im Oktober zu schmieden. Ganz der Tradition verhaftet, hatte sie lediglich ein wenig die Stirn darüber gerunzelt, weil Lorraine sich anstatt des üblichen Verlobungsringes eine kleine Smaragdkette hatte schenken lassen.
    “Jetzt hast du deinen Willen, Mom”, flüsterte Lorraine und blickte auf den Ehering an ihrer Linken, der ihrer Mutter gehört hatte. Auf der Innenseite waren die Worte eingraviert: “Ich liebe dich für immer, Thomas”. Der Mann vom Beerdigungsinstitut hatte ihr den Ring an dem Tag übergeben, als der Sarg geschlossen wurde. Lorraine hatte ihn angesteckt und würde ihn erst abnehmen, wenn sie ihren eigenen Ehering an den Finger steckte. Ihre Mutter hatte diesen Ring seit ihrer Trauung getragen.
    “Was soll ich nur ohne dich machen, Mom?”, flüsterte Lorraine in die Stille der Nacht hinein, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es wunderte sie, dass sie noch weinen konnte.
    Sie musste an die Enttäuschungen denken, die sie ihrer Mutter bereitet hatte. Sie hatte das Medizinstudium nach dem zweiten Jahr aufgegeben und stattdessen eine Ausbildung als Krankenschwester und Heilpraktikerin absolviert. Virginia hatte zwar kaum etwas dazu gesagt, war aber mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden gewesen, das wusste sie. Sie hoffte, diese Enttäuschung wieder gutgemacht zu haben, als sie Gary kennen lernte. Er verkaufte medizinisches Zubehör an ihren Arbeitgeber “Group Wellness”.
    Dass sie eine eher nachlässige Katholikin geworden war, hatte ihrer Mutter ebenfalls missfallen. Aber sie hatte sich nun mal nie so mit der Kirche identifizieren können wie Virginia.
    “Es tut mir so leid, Mom”, flüsterte sie und hoffte, ihre Mutter nicht in zu vielem enttäuscht zu haben.
    Nach Beendigung ihres emotionsgeladenen Rundgangs durch das Haus duschte sie und zog das Nachthemd über, das sie Virginia zum letzten
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