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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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kannte sie seit einigen Jahren. Die Veränderung in ihrem Wesen blieb ihm nicht verborgen. Sie wünschte sich, er würde sie ansprechen. Er tat es nicht.
    Uwe glühte an diesem Tag vor guter Laune, bezauberte alle mit Charme und Wortwitz. Isabel saß mit an der Tafel, aber es war ein symbolträchtiges Bild, das zeigte, wie sie im Verlauf der Feier und mehrerer Platzwechsel immer weiter aus dem Zentrum herausrückte und am Ende an einem Katzentisch landete.
    Uwe war vernarrt in seine Tochter. Er kam früher nach Hause, beschäftigte sich mit Katharina, wickelte sie, fütterte sie und am Wochenende schob er den Kinderwagen durch Eilenriede und Tiergarten. Zwei Zeitungen begleiteten ihn mit Reporterin und Fotograf, Isabel fand die Homestorys unangebracht, nicht nur, weil sie in den Texten und auf den Fotos zu kurz kam. Uwe warb um Verständnis für die Spielregeln der Mediendemokratie.
    Für einige Zeit lebten sie das Leben einer normalen Familie, ohne Schläge, ohne Angst und Strafen. Vielleicht wird doch noch alles gut, dachte sie und ihre abgestorbenen Gefühle für ihn erwachten zu neuem Leben.
    Als Katharina anderthalb Jahre alt war, bekam sie Magenkrämpfe. Sie brachten sie ins Kinderkrankenhaus auf der Bult. Die Ärzte diagnostizierten eine Magenverstimmung, die gut mit Medikamenten behandelbar war, und schickten die besorgten Eltern und die kleine Patientin mit Anweisungen für die nächsten Tage wieder nach Hause. Die Fahrt verlief in angestrengtem Schweigen. Nur einmal sagte Uwe kopfschüttelnd: „Gibt ihrer Tochter verdorbenes Essen. Was bist du nur für eine Mutter.“
    Kaum war die Haustür geschlossen, kaum stand die Tragetasche mit dem Kind auf dem Boden, als er ausholte. Der erste Schlag traf ihr ungeschütztes Gesicht, sie riss beide Hände nach oben. So war ihr Bauch ungeschützt, als sie der nächste Hieb dort traf. Er schlug sie zusammen. Er sagte nichts, kein Wort. In totalem Schweigen verrichtete er sein Werk, begleitet vom zufriedenen Murmeln des Babys in der Tragetasche.
    Am nächsten Tag stand er weinend an ihrem Bett. Er hatte es nicht so gemeint, die Angst um seine Tochter hatte ihn verrückt gemacht. Ab sofort würde er sie nie wieder schlagen, versprach er ihr. Sie wusste, dass sie ihm nicht glauben durfte. Er würde niemals damit aufhören. Er war krank, ein begabter Anwalt und Politiker, charmant, gut aussehend und doch seelisch krank, so krank, dass er gar nicht anders konnte.
    Ihr wurde an diesem Nachmittag klar, dass er niemals damit aufhören würde, nicht solange sie noch lebte. Und irgendwann würde er die Kontrolle über sich verlieren und so lange auf sie einprügeln, bis sie tot war. Trotz dieser Erkenntnis hatte es weitere sechs Jahre gedauert, bis sie sich endlich dazu durchgerungen hatte, ihn zu töten. Nicht ihretwegen, es ging um Katharina.
    Gestern Abend hatte man es ihm angemerkt. Er hatte schlecht ausgesehen, seine Gesichtshaut war ungewöhnlich fahl, auf seiner Stirn standen Schweißtropfen, und er hatte sich immer wieder an die Brust gefasst, bis zu dem Wutausbruch. Lange würde es nicht mehr dauern, dann würde das Gift stärker sein als die Widerstandskräfte seines Körpers und ihr Martyrium hätte ein Ende. Sie zuckte zusammen, Geräusche aus dem Nebenzimmer, Katharina war aufgewacht. Isabel hatte 15 Minuten vor dem Spiegel im Schlafzimmer gestanden, nackt.

5
    „Ich lade dich ein. Privat, nicht aus der Parteikasse.“
    Tobias Wächter, Vorsitzender der Seniorenvereinigung der Bürgerpartei, blickte überrascht auf. Was mochte Albi von ihm wollen? Eine private Einladung ohne Gegenleistung war nicht vorstellbar. Nicht für Albi, den alten Politikhasen.
    Alfred „Albi“ Bitter, mit Ende fünfzig der Jüngere der beiden, stand seit acht Jahren dem Landesverband der Bürgerpartei vor, die die Regierung in Niedersachsen stellte. Er sah keinen Tag jünger aus. 30 Jahre in der Politik hatten ihre Spuren hinterlassen, nicht nur in seinem von tiefen Furchen durchsetzten Gesicht. Und doch steckte noch viel Energie in seinem müden Körper. Anfang des Jahres hatte der amtsmüde Ministerpräsident seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Bitter hatte sich gute Chancen auf die Nachfolge ausgerechnet, war sich seiner Sache sicher gewesen. Bis zum Parteitag in Braunschweig Ende Januar, da war Uwe Stein auf der Bildfläche erschienen und hatte Bitter mit einer furiosen Rede aus dem Rennen geworfen und sich selbst als Spitzenkandidat ins Spiel gebracht. Albi hatte ihm das
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