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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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blauer Himmel, Birken und Tannen, Wiesen mit Sonnenblumen, dazwischen Felder mit rot leuchtender Heide. Die Südheide im Spätsommer war für Marion Klaßen fast so schön wie die Toskana. Obwohl sie Norddeutsche war, störte sie die Hitze nicht. Sie hatte nicht nur ein Faible für südländische Männer, sie mochte auch südländische Temperaturen. Jedes Jahr fuhr sie mit ihrer Mutter vier Wochen nach Italien, von Kindesbeinen an. Ihr Vater, Richter am Oberlandesgericht, war anglophil. Seit seiner Pensionierung vor vier Jahren weigerte er sich, mitzukommen. Seinem Herzen sei die Hitze abträglich. Seitdem fuhren die Frauen alleine. Selbst als sie mit Giorgio zusammengelebt hatte, war sie mit ihrer Mutter verreist. Giorgio hatte keine Einwände gehabt. Später hatte sie herausgefunden, dass er ihre Abwesenheit nutzte, um fremdzugehen. Vor zwei Jahren hatte sie ihn rausgeschmissen, aus ihrer Wohnung und ihrem Leben.
    Liebeskummer hatte sie nicht verspürt, drei Wochen später hatte ein neuer Lover Giorgios Stelle eingenommen. Toni aus Neapel, acht Jahre jünger als sie und den ersten Sommer in Deutschland. Die Liaison dauerte vier Monate. Als Liebhaber war er fantastisch, aber Gespräche waren nicht möglich, seine Deutschkenntnisse waren genauso stümperhaft wie ihr Italienisch. Und Themen, die sie interessierten, spielten in Tonis Leben keine Rolle.
    Seither war sie Single. Seit zehn Monaten keinen Mann, keine Zärtlichkeiten, keinen Sex. Mit 32 führte sie das Leben einer Nonne. Und der größte Witz war, sie vermisste den Sex nicht einmal. Es gab so viel anderes, das ihr Leben fesselnd machte. Das Gefühl, Einfluss und Macht zu besitzen, war mehr als ein Ersatz für Sex. In diesem Jahr hatte sie sogar ihren Italienurlaub ausfallen lassen, der Wahlkampf war wichtiger. Seit Anfang des Jahres saß sie als Nachrückerin für einen schwer erkrankten Abgeordneten im Landtag, war eine der drei Jüngsten.
    Die politische Arbeit machte ihr Spaß, obwohl sie zuvor auch als Versicherungsfachfrau erfolgreich gewesen war und mit Anfang dreißig eine Filiale geleitet hatte. Selbst die Ausschusssitzungen, Albtraum vieler Kollegen, mochte sie. Ihre Fraktion hatte sie in den Kulturausschuss entsandt, wo die Reformpläne der Landesregierung im Schulwesen beraten und entschieden wurden. Es ging um die Zukunft der Kinder, die Interessen von Lehrern und Eltern.
    Sie wollte ihren Job gut machen, stieg tief in die Vorlagen der Ministerien ein, informierte sich umfassend über die Standpunkte der verschiedenen Gruppen. Sie sprach mit der Lehrergewerkschaft, Elternverbänden, Schülerbeiräten und den Beamten im Kultusministerium. Nach kurzer Zeit war sie bei den Beamten gefürchtet, wurde vom Kultusminister mit Argwohn betrachtet und besaß einen Namen als kompetente Schulpolitikerin. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Uwe Stein machte sich für sie stark, die Fraktion wählte sie zur schulpolitischen Sprecherin. Eine Sensation, weil Sprecherfunktionen den dienstälteren Abgeordneten vorbehalten waren.
    Ihr war bewusst, dass das ohne Steins Fürsprache nicht so gelaufen wäre. Stein und sie mochten sich, gehörten beide zur Fraktion der aufstrebenden Nachwuchspolitiker, die die verstaubte Partei von alten Zöpfen befreien wollten. Näher kennengelernt hatten sie sich Anfang des Jahres auf dem Braunschweiger Parteitag. Dank ihm war der bis dahin vor sich hin dümpelnde Parteitag zu einer Sensation geworden. Mit einer grandiosen Rede hatte er Albi als Spitzenkandidat um den sicher geglaubten Sieg gebracht. Der Parteivorsitzende hatte eine der üblichen Politikerreden vom Stapel gelassen, viel Selbstlob, Beschwichtigungen, dass die gesunkenen Umfragewerte kein wirkliches Problem seien und Streicheleinheiten für die Delegierten. Stein hatte den Spieß umgedreht, die Herausforderungen und bisherigen Fehler beim Namen genannt, nicht um den heißen Brei herumgeredet, auf Floskeln verzichtet, seine Forderungen klar und schlüssig vorgetragen. Nicht alle waren damals angetan gewesen. Die Senioren hatten ein langes Gesicht gezogen, der Parteivorsitzende hatte gequält gelächelt, der Regierungschef hatte nicht einmal das getan. Marion war nach Steins Rede zu ihm gegangen. Sie war die Erste, die ihm gratulierte. Die anderen warteten ab. Sie wollten sich nicht festlegen, solange nicht klar war, ob Stein als Sieger oder Verlierer den Parteitag verlassen würde. Als Steins Sieg feststand, folgten viele Gratulanten.
    In der Pause hatten sie
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