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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Kaffee getrunken und ihre Handynummern ausgetauscht. Seitdem verband sie eine Freundschaft, aber keine enge. Ein einziges Mal hatte sie das Gefühl gehabt, dass sich mehr zwischen ihnen entwickeln könnte. Auf einer Klausurtagung in Cuxhaven hatten sie beim Absacker an der Hotelbar zusammengesessen. Stein war der typische Germane, blond, breitschultrig, groß gewachsen. Sie stand auf Typen, die im Mittelmeerraum aufgewachsen waren. Trotzdem war sie an diesem Abend nicht abgeneigt gewesen, der Wein war ihr zu Kopf gestiegen und sie hatte Monate lang keinen Sex mehr gehabt. Sie machte Andeutungen, er wiegelte ab, sprach davon, dass er seine Frau liebe. Für einen kurzen Moment war sie verletzt, noch nie zuvor hatte ihr ein Mann eine Abfuhr erteilt, dann dachte sie: Vielleicht ist es besser so. Die Verhältnisse waren ein für allemal geklärt, es verband sie eine Beziehung, die auf Zuverlässigkeit und gegenseitiger Wertschätzung beruhte.
    In Eschede parkte Marion hinter dem „Deutschen Haus“. Auf dem Parkplatz standen entschieden zu wenige Autos. Die Vorsitzende der Landfrauen hatte von 70 bis 90 Frauen gesprochen, die mit Sicherheit kommen würden. „Schule im 21. Jahrhundert“ – das Thema würde ziehen. Sie erwartete Marion im Foyer, die Begrüßung fiel kühl aus. Von 100 Stühlen waren gerade mal 20 besetzt. Teilnahmslose Gesichter starrten sie an, nicht direkt feindselig, aber ablehnend. In ihrem modischen Strickensemble, einem Designerteil, fühlte sie sich deplatziert. Auch die Ankündigung blieb blass, niemand klatschte zu Marions Begrüßung.
    Für Marion kein neues Erlebnis. Viele der Besucher, die zu ihren Veranstaltungen kamen, machten aus ihrer Abneigung gegen Politiker keinen Hehl. Und am Schluss hagelte es regelmäßig Vorwürfe an die Politik, die in diesem Land so ziemlich alles falsch zu machen schien. „Warum bewegt ihr euren Arsch nicht und engagiert euch, in der Kommunalpolitik zum Beispiel?“, hätte sie den ewigen Meckerern gerne an den Kopf geworfen. „Stellt unter Beweis, dass ihr es besser könnt. Aber das würde eure Bequemlichkeit stören. Zu jammern und zu schimpfen ist ja auch wesentlich einfacher, als sich einzubringen oder darüber zu befinden, ob zunächst der Kindergarten, die Schule oder der Bürgersaal saniert werden soll.“
    Die Deutschen waren fünfundsechzig Jahre nach Kriegsende ein verdammt bequemes Volk geworden. Dass es ohne Anstrengungen in der globalisierten Wirtschaftswelt nicht möglich war, den Wohlstand zu erhalten, wollten sie nicht hören. Stattdessen träumten sie davon, auch ohne größere Anstrengung Exportweltmeister zu bleiben, mit 40-Stunden-Woche, sechs Wochen Jahresurlaub, den weltweit meisten Feiertagen. Wie sie mit diesen Komfortbedingungen glaubten, gegen die aufstrebenden Schwellenländer, die all das nicht kannten, bestehen zu können, war Marion ein Rätsel. Eines stand fest: Im Jammern war den Deutschen der Weltmeistertitel nicht zu nehmen.
    So oder so, sie musste das jetzt durchziehen. Sie hielt tapfer ihre Rede. 20 Zuhörerinnen waren 20 potenzielle Wählerinnen. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei. Keine Fragen, auch keine Vorwürfe. Die Abfahrt glich einer Flucht.
    Als sie zehn Minuten vor der Zeit in die Tiefgarage des Hotels Maritim in Hannover fuhr, hatte sie die miesepetrigen Landfrauen vergessen. Zu Marions Stärken gehörte die Fähigkeit, sich von unangenehmen Vorfällen schnell lösen zu können. Uwe hatte einen Ecktisch reservieren lassen. Neugierig starrten die vier Gäste des Restaurants zu ihrem Tisch hinüber. Stein war ein prominenter Mann. Es erfüllte Marion mit Stolz, seine politische Vertraute zu sein. Stein erkundigte sich nach ihren Wahlkampfterminen, er war ein guter Zuhörer. Marion fragte sich, wann er zum Thema kommen würde. Er aß wenig, schob den mehr als halb vollen Teller beiseite. „Ich möchte mit dir über mein Schattenkabinett sprechen. Ich werde es nächste Woche bekannt geben.“ Marions Herz klopfte. „Du weißt, dass ich viele Rücksichten nehmen muss. Die Oldenburger wollen ebenso bedient werden wie die Braunschweiger und Emsländer. Die Organisationen dürfen auch nicht zu kurz kommen. Ich könnte spielend ein doppelt so großes Kabinett besetzen.“
    Er erwähnte die Frauenorganisation, gemeinsam spotteten sie über die Peters und ihren verbissenen Kampf für die Rechte der Frauen. In Marions Lachen hinein sagte er: „Sie kriegt ihr Frauenministerium. Klein und fein, nicht mehr als 30 Leute.
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